Neulich im Amtsgericht 22

| Neulich im Amtsgericht

Schicksal eines Pflegekindes

Das Kind lebte seit vier Jahren in der Pflegefamilie. Jetzt war der kleine Junge 4,5 Jahre alt. In der leiblichen Familie wurde er im 1. Lebenshalbjahr schwer vernachlässigt und wahrscheinlich auch misshandelt. Nach der Inobhutnahme lebte er eine Woche in einer Notunterkunft, dann weitere drei Monate in einer Übergangspflegestelle, bevor er in der jetzigen Dauerpflegestelle ankam. Seitdem kämpfen die (inzwischen getrenntlebenden, die sich nur unter Aufsicht Dritter treffen dürfen, sonst knallt es) leiblichen Eltern um Umgang. Die Herausnahme sei rechtswidrig gewesen, das Kind müsse zurück zu ihnen (zu wem bleibt unklar), die Pflegeeltern würden Umgang mit ihnen boykottieren und sich an das Kind klammern. Das Jugendamt ordnete Umgang alle zwei Wochen, abwechselnd mit einem Elternteil an. Irgendwann gingen die Pflegeeltern vor das Gericht. Der Umgang sei viel zu viel. Das Kind sei danach mindestens eine Woche lang unerreichbar, würde viel schreien und könne nachts nicht schlafen. Es stehe jetzt eine Traumatherapie an, in der Zeit müsse der Umgang ganz ausfallen. Das Gericht holte aus. Es sei nun einmal nur ein Pflegeverhältnis. Die Pflegeeltern seien nicht die leiblichen Eltern. Es sei das Schicksal des Kindes, es schwer im Leben zu haben. Die leiblichen Eltern haben ein Recht auf Umgang. Für eine normale Identitätsentwicklung ist der persönliche Kontakt zu den leiblichen Eltern wichtig. Es müsse stets geprüft werden, ob das Kind zurückgeführt werden könne. Die Pflegeeltern seien verpflichtet, nicht so viel Bindung zuzulassen, dass eine Rückführung ausgeschlossen sei.

Oh je. Oh je. Die ganz alte Nummer. Zum Glück hakte die Verfahrensbeiständin ein. Identitätsfragen entstünden erst zu Beginn der Pubertät. Da habe das Kind noch zehn Jahre Zeit. Eine Rückführung sei völlig ausgeschlossen. Die leiblichen Eltern haben das Kind stark vernachlässigt, es seien beim Kind deutliche Anzeichen einer frühkindlichen Traumatisierung zu erkennen, eine Therapie sei dringend angezeigt. Die leiblichen Eltern würden jede Verantwortung zurückweisen. Auch das Jugendamt sah sich gezwungen, der Richterin zu widersprechen. Es müsse wohl doch gutachterlich geprüft werden, ob und wie Umgang möglich sei. Man sei als Jugendamt überfordert, das selbst zu entscheiden. Die leiblichen Eltern schüttelten zusammen mit ihrer Anwältin entrüstet den Kopf: Falsch, falsch, falsch. Wir wollen das Kind jede Woche, mit Übernachtung. Die Richterin wurde unruhig. Na gut. Gutachten. Bis dahin kein Kontakt. Aber die Pflegeeltern sind verpflichtet, jeden Monat den leiblichen Eltern über das Kind zu berichten. Ende der

Verhandlung. Na gut. So geht's doch.