Vorrang von Pflegeeltern bei der Bestellung des Vormunds §§1791b, 1887 BGB

| Jugendamt, Pflege, Pflegeeltern, Rechte des Pflegekindes und der Pflegeeltern, Vormundschaft

Das Gesetz hält grundsätzlich Einzelpersonen als besser geeignet, die Vormundschaft oder Pflegschaft zu übernehmen. Das OLG Nürnberg setzt noch einen drauf und hält grundsätzlich die Pflegeeltern als besser geeignet als das Jugendamt.

 

Aus den Gründen (geringfügig gekürzt)

 

l.


Das Amtsgericht hatte der (allein sorgeberechtigten) Mutter die elterliche Sorge entzogen und Vormundschaft durch das Jugendamt angeordnet. Das Kind wurde in staatliche Obhut genommen und nach Unterbringung in einer Kurzzeitpflegestelle am 29. Juli 2011 in (Dauer-)Pflege bei den Pflegeeltern N. überführt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Pflegeeltern, denn diese wollen selbst die Vormundschaft übernehmen.


II.

 

Die Beschwerde des Beteiligten ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Funktionell zuständig in erster Instanz als Familiengericht ist der Rechtspfleger gemäß § 3 Nr. 2a RPflG, dessen Entscheidung mit der Beschwerde angefochten werden kann (§ 11 Abs. 1 RPflG, 58 FamFG). Die Pflegeeltern sind beschwerdeberechtigt im Sinne von § 59 FamFG, da sie durch die angefochtene Entscheidung in eigenen Rechten unmittelbar beeinträchtigt ist.

 

Das Gesetz geht aber in §§ 1791b Abs. 1, 1887 Abs. 1 BGB eindeutig vom Vorrang der Einzelvormundschaft gegenüber der Vormundschaft des Jugendamts oder eines speziellen Vereins aus. Deshalb ist das Jugendamt oder ein Verein zum Vormund nur zu bestellen, wenn kein geeigneter Einzelvormund zur Verfügung steht; findet sich ein geeigneter anderer Vormund, so ist gemäß § 1887 Abs. 1 BGB der Amtsvormund – zwingend und ohne jedes weitere Ermessen - zu entlassen.

 

Damit besteht auch im Grundsatz ein Vorrang der Bestellung von Pflegeeltern, soweit diese eine persönliche Bindung mit dem Kind haben, gegenüber einer solchen des Jugendamtes oder einer sonstigen staatlichen Einrichtung (vgl. dazu OLG Stuttgart FamRZ 2013, 1318; OLG Nürnberg FamRZ 2012, 1959; Brandenburgisches Oberlandesgericht, erkennender Senat, FamRZ 2014, 1863 – jeweils zitiert nach juris). Denn eine Vormundschaft erfüllt dann ihren Zweck am besten, wenn das Kind erlebt, dass die Person, die es täglich erzieht, auch rechtlich zu dieser Erziehung umfassend befugt ist; dem Kind kann aus dessen subjektiver Sicht dann am ehesten Stabilität und Verlässlichkeit vermittelt werden, wenn seine „sozialen" Eltern auch künftig die persönliche Betreuung übernehmen und dann auch in der Lage sind, die erzieherischen Entscheidungen eigenständig zu treffen.

 

Im Streitfall bestehen an der Eignung der Pflegemutter für die Übernahme der Vormundschaft keine Bedenken. Der Senat tritt nach eigener kritischer Würdigung der zutage getretenen Umstände der Entwicklung des Kindes in der Familie der Beteiligten zu 1. und der in dieser Zeit dokumentierten Einschätzungen des eingesetzten Amtsvormunds der – nach weiteren eigenen Ermittlungen in der Kita und der Einrichtung, in der X... nach der neuerlichen Inobhutnahme im Juni 2018 untergebracht worden ist, dezidiert und überzeugend begründeten – Einschätzung des Verfahrensbeistands bei, dass es keine in der Erziehungsfähigkeit begründeten Bedenken gegen die Eignung der Pflegemutter für die alltägliche Betreuung des Kindes wie auch für die Übernahme des Amtes eines Einzelvormunds gibt. Tatsächlich gibt gerade die nicht tragfähig begründete und ersichtlich ohne ausreichende Folgenabwägung für das Wohl des – erneut traumatisierten - Kindes im Einverständnis mit dem Amtsvormund erfolgte Inobhutnahme im Juni 2018 dringend Anlass, von der Fortführung der Amtsvormundschaft Abstand zu nehmen.

 

Im Einzelnen:
Die heute knapp 8 ½ Jahre alte X... lebt – nach einem schwierigen Start in ihr Leben und ersten Bindungsabbrüchen durch eine Herausnahme aus dem elterlichen/mütterlichen Haushalt zunächst in einer Bereitschaftspflegestelle – seit ihrem 6. Lebensmonat im Haushalt der Beteiligten zu 1. (zu dem außerdem deren Ehemann und die eheliche Tochter ..., rund 12 Jahre alt, gehören). Für X..., die keine Kontakte zu ihren leiblichen Eltern hat, stellt sich die Familie Y... als „ihre soziale Familie" dar, die ihr ein kindgerechtes Umfeld und ein stabiles Zuhause bietet, in der sie sich wohl fühlt und verantwortungsvoll versorgt, betreut und erzogen wird. X... ist im Familienverbund der Pflegefamilie fest verankert und hat dort ihren Lebensmittelpunkt. Die Sehnsucht des Kindes nach „ihrer Familie" ist in den erstinstanzlichen Anhörungen (durch den Verfahrensbeistand und den Rechtspfleger) unmissverständlich zum Ausdruck gekommen.

 

Durchgreifende Bedenken gegen die Erziehungsfähigkeit der Pflegefamilie, insbesondere in Person der Pflegemutter, lassen sich nicht tragfähig feststellen. Soweit der Beteiligte zu 2. im hiesigen gerichtlichen Verfahren den Eindruck zu vermitteln sucht, dass es im Grunde seit Jahren erhebliche Zweifel an der Erziehungsfähigkeit in der Pflegefamilie und hier insbesondere in der Person der – zudem angeblich bei konkreten Unterstützungsmaßnahmen wenig kooperativen - Pflegemutter gegeben habe, findet sich dafür kein ausreichend belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkt. Das Gegenteil ist der Fall. Die vom bisherigen Amtsvormund erstellten Jahresberichte seit dem Jahr 2012 vermitteln den sicheren Eindruck einer grundsätzlich engagierten Betreuung und Erziehung X..., für die Frühförderung in Anspruch genommen worden ist, ohne dass in diesem Zusammenhang irgendwelche Vorwürfe gegen die Pflegemutter („Störmanöver") erhoben worden sind. Richtig ist, dass im Jahresbericht des Amtsvormunds vom 29. Mai 2015 (Bl. 60 ff. GA) konkrete und Anlass zur Besorgnis gebende Auffälligkeiten im (Sozial-)Verhalten des Kindes ebenso angeführt sind wie Erziehungsprobleme, insbesondere im Bereich der Grenzsetzung. Richtig ist auch, dass diese Feststellungen offenbar seinerzeit Anlass gegeben haben, den dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie Y... zu hinterfragen. Im Folgebericht vom 11. Juli 2016 (Bl. 68 ff. GA) wird dann aber vom Amtsvormund festgestellt, dass X... „sich gut weiter entwickelt" habe und „die Auffälligkeiten im Sozialverhalten (...) sich verringert (haben)". Frau Y... habe „sehr gut an den Zielen der Hilfeplanung mitgearbeitet. X... erhält nun klarere Grenzen und Orientierung". Die Pflegemutter sei „konsequenter geworden" und nehme „die Beratung der Frühförderin gerne an". Das Kind zeige weniger Auffälligkeiten und sei insgesamt ruhiger und ausgeglichener geworden. Im Folgebericht des Amtsvormunds vom 25. April 2017 (Bl. 69 GA) wird ein weiterer Fortschritt des Kindes im Sozialverhalten festgestellt. Im Frühsommer 2017 wurde bei einer Folgeuntersuchung im S... ausdrücklich „ein deutlicher Entwicklungszuwachs dokumentiert" (so die Dipl.-Psych. Z... in ihrem psychologischen Befundbericht vom 13. April 2018, Bl. 78 f. GA). Nichts deutete auf irgendwelche nachhaltigen Betreuungs- oder Erziehungsdefizite in der Pflegefamilie hin, schon gar nicht über längere Zeit. Erst im Bericht vom 6. und 12. Juni 2018 (Bl. 71 GA) und aus Anlass der tatsächlich zutage getretenen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten zu 1. und 2. im Zusammenhang mit der „richtigen" Reaktion auf die Verdachtsdiagnose eines möglichen sexuellen Missbrauchs des Kindes (außerhalb der Pflegefamilie) wird dann ohne jede nähere Begründung von dem Amtsvormund bzw. dem Beteiligten zu 2. „eingeschätzt, dass die Erzieherin (gemeint ist die Pflegemutter) negativ auf die Entwicklung des Kindes Einfluss nehme" und „die Erziehungsstelle nicht mehr die geeignete Unterbringungsform des Kindes ist".

 

Auch seitens der Kita (befragt durch die Verfahrensbeiständin, vgl. deren Stellungnahme vom 11. Juli 2018, Bl. 97 ff. GA) wurde die Pflegemutter als sehr engagierte und hilfsbereite Person beschrieben; als einziges Manko wurde angegeben, dass diese das Kind nicht zu Kitabeginn, sondern häufig erst um 30 Minuten verspätet gebracht habe. Auch die Kita nahm X... anfangs (= im Jahr 2012/13) als „nicht sehr einfach" wahr; das Kind habe an der Pflegemutter geklammert und Trennungsängste erkennen lassen (was in Ansehung der in frühester Kindheit erlebten Bindungsabbrüche nicht überraschen kann); zum Schluss aber habe X... „einen positiven Sprung gemacht"; auch im Vergleich zu anderen Kindern sei X... als ganz normales Kind erlebt worden.

 

Die nach der Inobhutnahme im Juni 2018 beauftragte Einrichtung (in Person von Frau B...) hat (ebenfalls angefragt durch die Verfahrensbeiständin, vgl. wie vor) eindrucksvoll bestätigt, dass die (unvorbereitete) Herausnahme aus der Pflegefamilie für X... „sehr emotional und hart abgelaufen" sei. Jenseits dessen aber hat Frau B... das Kind als sehr umgänglich, hilfsbereit und freundlich, wenn auch voller Sehnsucht nach ihrer Pflegefamilie beschrieben.

 

Bei dieser Sachlage gibt es für die vom Beteiligten zu 2. angeführten gravierenden Erziehungsdefizite im Haushalt der Pflegefamilie keine hinreichend belastbaren Anknüpfungstatsachen. Festzustellen ist allerdings, dass es im Zuge der (allerdings auch nach der Inobhutnahme nicht weiter hinterfragten oder gar zur Anzeige gebrachten) Verdachtsdiagnose eines möglichen sexuellen Missbrauchs außerhalb der Pflegefamilie zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten zu 1. und 2. über den weiteren Umgang damit gekommen ist. Dabei haben sich tatsächlich die Fronten verhärtet, weil die Mutter diesen Verdacht ohne entsprechende zweite fachliche Meinung nicht akzeptieren mochte und dann – dem Vorwurf der Aufsichtspflichtverletzung ausgesetzt und dem nicht ansatzweise untermauerten Vorwurf, sie sei zu einer entwicklungsfördernden Beziehungsgestaltung zwischen sich und dem Kind außer Stande - dann auch nicht mehr als ausreichend kooperationswillig wahrgenommen worden ist und sich insbesondere nicht mit der in Aussicht genommenen Fremdplatzierung X... einverstanden zeigen konnte, was bei der geschilderten Vorgeschichte ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Auch der Senat kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Jugendamt in der konkreten Situation deutlich überreagiert und „krampfhaft" Gründe gesucht hat, den (aus Gründen des Kindeswohls durchaus bedenklichen) eingeschlagenen Weg der neuerlichen Inobhutnahme eines - nach eigener amtlicher Einschätzung und biografisch durchaus nachvollziehbar bereits erheblich bindungsgestörten Kindes – mit irgendwelchen nachhaltigen Bedenken gegen die Erziehungsfähigkeit in der Pflegefamilie zu untermauern. Es mag schon so sein, dass die Mutter in ihrer Auffassung zum Sachverhalt sehr stur und für die Ansichten des Jugendamtes momentan schwer oder gar nicht zu erreichen war; umgekehrt allerdings war das Jugendamt in seiner (objektiv überraschenden) gefestigten ablehnenden Haltung zu einem Verbleib X... in der Familie Y... nicht weniger beharrlich und hat dabei insbesondere die (möglichen) schweren Folgen der neuerlichen Fremdunterbringung des Kindes nach Überzeugung des Senates nur unzureichend abgewogen. Hier sei der Hinweis erlaubt, dass von einer „an den Pranger gestellten" Pflegemutter ein selbstkritisch-sachlicher Umgang mit der aufgetretenen Problematik sicher auch deutlich weniger erwartet werden kann als von Mitarbeitern eines Jugendamtes, denen auch in emotional aufgeheizten Situationen Professionalität und Sachlichkeit und die Fähigkeit abverlangt werden kann, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen und das Gegenüber zu überzeugen zu versuchen. Das scheint im Streitfall zuletzt nicht mehr gelungen zu sein. (Mindestens) Auch seitens des Jugendamtes war zuletzt ein – objektiv nicht zu begründender – Konfrontationskurs bevorzugt worden, in dem das Wohl X... (um das zweifellos alle Beteiligten auf ihre Art und Weise besorgt sind) etwas aus dem Blick geraten zu sein scheint. Die in der Natur des Menschen liegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten können aber nicht dazu führen, der unbestreitbar bestehenden Bindung des nach Lage der Akten erfolgreich in die Pflegefamilie integrierten Kindes durch Bestellung der Pflegemutter zum Vormund den Nachrang gegenüber einer Bestellung der staatlichen Institution als Vormund zu geben.

 

Es bleibt nach alledem festzustellen, dass es keine belastbaren Anknüpfungstatsachen für Zweifel an einer verantwortungsvollen Betreuung und Erziehung X... in der Pflegefamilie gibt, an die das Kind nach seiner Rückkehr dorthin im Oktober 2018 (hoffentlich) anknüpfen konnte. Dann aber besteht auch kein Grund, an der Eignung der Beteiligten zu 1., als Einzelvormund auch in rechtlicher Hinsicht die Angelegenheiten des Kindes zu regeln, Bedenken zu hegen.

 

Der Senat nimmt die hier beschriebenen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten allerdings zum Anlass, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass das Jugendamt damit seiner schützenden Verantwortung für das Kind keineswegs enthoben ist, sondern – wie bei jedem anderen Kind auch – bei konkret festgestelltem Bedarf Hilfe und Unterstützung anbieten darf/muss und bei konkreten Gefährdungsanzeichen auch zu geeigneten und verhältnismäßigen Schutzanordnungen greifen kann/muss, ggf. auch unter Anrufung des Gerichts. Schon mit Blick auf diese Sach- und Rechtslage sei an die Beteiligten appelliert, die im Sommer 2018 aufgetretenen Verwerfungen zu überwinden und zu einer sachlichen Kooperation zurückzufinden. Der Senat bezweifelt nicht, dass es allen Beteiligten im Kern vor allem darum geht, dass X... nach ihrem ohnehin schweren Start ins Leben und mit allen vorhandenen Schwierigkeiten möglichst gut geht und sie (weiterhin) eine positive Entwicklung nehmen kann.