Neulich im Amtsgericht 17

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Die Sache war eigentlich klar. Das inzwischen dreijährige Kind wurde im Haushalt der leiblichen Eltern stark vernachlässigt, es war vom Jugendamt vor über neun Monaten in Obhut genommen worden und lebte seitdem in einer Pflegefamilie. „Eine Rückführung ist ausgeschlossen". Die Sachverständige war eindeutig. Das Kind habe furchtbare Erfahrungen im Haushalt der leiblichen Eltern gemacht, es würde Jahre dauern, diese aufzuarbeiten. Dafür benötige das Kind Sicherheit und eine liebevolle Pflegefamilie. Die sei hier gefunden, daran solle nicht gerüttelt werden. Sie empfehle dringend, den Antrag der leiblichen Eltern auf Rückführung zurückzuweisen. Richter, Jugendamt und Pflegeeltern lehnten sich beruhigt zurück. Aufatmen bei allen Beteiligten. Dann fragte der Richter nach der Empfehlung der Sachverständigen für zukünftige Umgänge. Das sei zwar nicht Bestandteil ihres Gutachtensauftrags gewesen, aber es sei für seine Entscheidung wichtig, ihre Meinung dazu zu hören. „Auf jeden Fall so häufig wie möglich. Ich denke mal, ein- bis zweimal die Woche." Das sei wichtig, damit die Beziehung zu den leiblichen Eltern nicht abbreche.

 

Die Pflegeeltern schauten sich fassungslos an. Die Verfahrensbeiständin fand als Erste die Worte wieder und wies darauf hin, dass die Sachverständige doch gerade von Vernachlässigung im Haushalt der leiblichen Eltern und dem Bedarf des Kindes nach Sicherheit und einer liebevollen Pflegefamilie berichtet habe. Wie solle das denn gehen, wenn das Kind ein- bis zweimal die Woche ihre leiblichen Eltern sehen müsse. „Persönliche Kontakte zu den leiblichen Eltern sind für jedes Kind wichtig. Sonst könne das Kind keine eigene Identität entwickeln und würde anfangen, die leiblichen Eltern zu idealisieren. Außerdem seien doch häufige Umgänge unproblematisch, wenn die Pflegeeltern das Kind stärken und gut betreuen".

 

Ein gut in die Pflegefamilie eingebundenes Kind sei stark genug, um sich der Auseinandersetzung mit den leiblichen Eltern zu stellen. Zum Glück waren sich alle Beteiligten (außer die Sachverständige) einig, dass ein derart häufiger Umgang ausgeschlossen sei. Selbst die leiblichen Eltern fanden das zu viel. „Wenn das Kind schon woanders leben muss, dann soll es sich da auch gut eingewöhnen". Man einigte sich dann auf einen Umgang alle sechs Wochen für 2-3 Stunden in Begleitung der Pflegeeltern in den Räumen des Jugendamtes. „Ich halte das für falsch. Das Kind wird später Probleme haben, sein eigenes Ich zu entwickeln. Das geht nur mit den echten Eltern". Die Sachverständige blieb stur. Der Richter beendete die Verhandlung.