Neulich im Amtsgericht 16

| Neulich im Amtsgericht, Pflegeeltern, Leibliche Eltern, Pflege, Rechte des Pflegekindes und der Pflegeeltern

Das Pflegekind war vier Jahre alt und lebte seit vier Wochen in der Pflegefamilie. Bis dahin hatte der Junge im Haushalt der alleinerziehenden leiblichen Mutter zusammen mit drei älteren Geschwisterkindern gewohnt. Er hatte es schwer: Bindungsängste, Albträume, Unruhe und Schreckhaftigkeit. Bei ihm wurde ein FAS – Fetales Alkoholsyndrom –diagnostiziert. Baldmöglichst sollte mit einer Spieltherapie angefangen werden, um seine traumatische Vergangenheit (Vernachlässigung, mindestens drei Trennungserfahrungen, massive motorische Defizite) aufzuarbeiten. Er war ein pfiffiges Kerlchen.

 

Alle waren zuversichtlich, dass aus ihm ein starkes, selbstbewusstes und lebensglückliches Kind werden würde. Dann kam es zum Termin beim Amtsgericht. Die leibliche Mutter hatte einen Umgangsantrag gestellt. Alle zwei Wochen von Freitag bis Sonntag. Die Anwältin der Mutter wies auf die Rechte der Mutter hin und darauf, dass es für das Kind wichtig sei, durchgehend Kontakt zur Mutter zu haben. Auf den Einwand der Pflegeeltern, das Kind müsse erst einmal mit der Therapie beginnen und zur Ruhe kommen, bot die Anwältin an, Umgang nur alle drei Wochen über das Wochenende einzurichten. Die Richterin schwankte. Naja, es sei ja nun einmal das Recht der Mutter, ihr Kind zu sehen. Es sei sowieso schon schwer für sie, das Kind verloren zu haben. Außerdem sei es ja wichtig für ein Kind, Kontakt zur leiblichen Mutter zu haben. Sonst habe es später in der Pubertät Identitätsprobleme. Zum Glück schlugen der Anwalt der Pflegeeltern, der Verfahrensbeistand und das Jugendamt gleichzeitig und heftig auf den Tisch. Das Kind sei extrem bedürftig, es habe extreme Probleme durch die Vernachlässigung im Haushalt der leiblichen Mutter erlitten.

 

Es müsse jetzt erst einmal mit sich selbst „ins Reine kommen", bevor es sich wieder durch persönliche Kontakte zur leiblichen Mutter – die ja diese Probleme weitgehend verursacht hat – auf Bindungen zu ihr einlässt. Letztlich überzeugte ein Argument die Richterin: Wenn wir das Kind auf die Reise zur leiblichen Mutter schicken wollen, muss es erst einmal (seelisch) gesunden. Nur ein starkes und seelisch gesundes Kind kann es schaffen, dauerhaft und kontinuierlich Bindungen zu Personen aufrechtzuerhalten, die eine schwierige Rolle in der eigenen Vergangenheit spielen. Wenn wir jetzt der Mutter zuliebe (unübersichtliche) „Zählkontakte" zulassen, wird das Kind nie stark und seelisch gesund. Dann haben wir nicht nur ein dauerhaft krankes Kind, sondern auch eine dauerhaft gestörte Mutter-Kind-Beziehung. Das fand die Richterin gut. Beschluss: Der Umgang wird für mindestens sechs Monate ausgesetzt.