Vorzug von Verwandten bei der Auswahl des Vormunds

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Es ist eine Mär, dass in jedem Fall Verwandte, also Omas, Tanten oder Cousinen vorrangig als Vormund oder sogar als Pflegefamilie in Betracht kommen. Das wird zwar immer wieder behauptet und gesagt, stimmt aber nicht. Richtig ist lediglich, dass die Gerichte bei der Auswahl eines Vormunds oder einer Pflegefamilie als 1. Schritt schauen müssen, ob nicht (zufällig) im nahen Verwandtenkreis geeignete Personen zur Verfügung stehen. Bei denen lohnt dann grundsätzlich die Prüfung ihrer Eignung, bevor man lange und intensiv nach (fremden) Alternativen sucht. Bei Großmüttern, Tanten oder Cousinen gelten dann aber gleiche Maßstäbe, wie bei allen Personen, die in Betracht kommen: Sie müssen für die konkrete Aufgabe geeignet sein. Das ist gerade bei Verwandten oftmals äußerst zweifelhaft, da sie ja in der Vergangenheit und auch in der Zukunft Bestandteil des familiären Systems sind, in dem die Gründe für eine Fremdplatzierung entstanden sind. Darum kommen nicht selten verwandte Personen gerade nicht in Betracht für die Übernahme der Vormundschaft oder gar die Aufnahme des Kindes als Pflegekind. Ein Umstand, den das OLG Düsseldorf in der nachfolgenden Entscheidung klar und deutlich herausgearbeitet hat.

 

Oberlandesgericht Düsseldorf, 8 UF 187/17.

 

Ein Verwandter (hier: Schwestern der Kindesmutter), der die Vormundschaft und zu-gleich die Betreuung eines Kindes übernehmen will, ist bei der Auswahl gemäß § 1779 Abs. 2 BGB nicht vorrangig zu berücksichtigen, wenn im Einzelfall konkrete Er-kenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes mit der Auswahl eines an-deren Vormundes (hier: Jugendamt/Fachpflegefamilie) besser gedient wäre

 

Gründe:

 

Das Amtsgericht hat der zuvor allein sorgeberechtigten Kindesmutter die elterliche Sorge für die beteiligten Kinder nach Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens der Sachverständigen A... entzogen und das Jugendamt zum Vormund der Kinder bestellt. Der oder die Väter der Kinder sind unbekannt.

 

Mit ihrer Beschwerde strebt die Kindesmutter die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und hilfsweise die Bestimmung ihrer Schwestern, Frau B... und Frau C... zum Vormund an, wobei die Schwestern auch die Betreuung und Versorgung der Kinder übernehmen wollen und sollen.

 

Der angefochtene Beschluss muss zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung aufrecht erhalten bleiben (§ 1666, 1666a BGB). Die Schwestern der Kindesmutter – Frau C... und Frau B... – können nicht zum Vormund der beteiligten Kinder bestimmt werden, weil beiden die hierfür erforderliche Eignung im Sinne des § 1779 Abs. 2 Satz 1 BGB fehlt.

 

Die Entziehung des gesamten Sorgerechts ist erforderlich, um konkrete Gefahren für das Wohl der beteiligten Kinder sicher und dauerhaft abzuwehren.

 

Die Kindesmutter ist nicht in der Lage ihre Kinder in einer mit dem Kindeswohl vereinbaren Weise zu betreuen und zu versorgen. Dies steht nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens fest und wird von der Kindesmutter nicht in Zweifel gezogen. Diese akzeptiert weiterhin, dass alle Kinder nicht von ihr betreut und versorgt werden können.

 

Die Kindesmutter vermag ihre Sorgerechtsverantwortung auch nicht als nicht betreuender Elternteil wahrzunehmen. Sie ist in ihren intellektuellen und kognitiven Fähigkeiten erheblich eingeschränkt und steht unter Betreuung. Aufgrund dieser Einschränkungen ist die Kindesmutter nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen A... nicht in ausreichendem Maße fähig, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und zielorientierte und vernunftbasierte, am Wohl der Kinder ausgerichtete Entscheidungen zu treffen.

 

Auch für die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrecht müssen die Bedürfnisse der Kinder erkannt, der fachliche Hintergrund einer Entscheidung verstanden und die Tragweite einer Entscheidung erfasst werden können. Hierzu ist die Kindesmutter nicht in der Lage. Sie kann weder die durch einen erhöhten Förderbedarf geprägten Bedürfnisse ihrer Kinder erkennen und berücksichtigen, noch die Risiken einer Entscheidung zugunsten ihrer Schwestern vor dem Hintergrund möglicher künftiger intrafamiliärer Konflikte erkennen und beurteilen. Dies hat sich bereits im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens gezeigt. So wollte sie wegen einer familiären Streitigkeit zwischenzeitlich die Kinder nicht mehr von ihren Schwestern betreuen und versorgen lassen, die ihrerseits zur Aufnahme der Kinder zwischenzeitlich nicht mehr bereit waren. Wenn der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht belassen würde, bestünde das Risiko, dass sie bei künftigen intrafamiliären Konflikten erneut mit der Betreuung der Kinder durch ihre Schwestern nicht mehr einverstanden sein könnte und ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht dazu nutzte, einen Aufenthaltswechsel der Kinder herbeizuführen. Diese Möglichkeit darf der Kindesmutter im Interesse der Kinder, die in besonderer Weise für ihre weitere Entwicklung auf stabile Lebensverhältnisse angewiesen sind, nicht belassen werden.

 

Den Schwestern der Kindesmutter fehlt die gemäß § 1779 Abs. 2 Satz 1 BGB für die Bestellung zum Vormund erforderlich Eignung.

 

Eine Person ist als geeignet für die Führung einer Vormundschaft anzusehen, wenn sie bereit und in der Lage ist, dem wohlverstandenen Interesse ihres Mündels zu dienen. Beabsichtigt die Person – wie die Schwestern der Kindesmutter – im Falle einer Bestellung zum Vormund auch die Betreuung und Versorgung ihres Mündels zu übernehmen, dient dies den wohlverstandenen Interessen des Mündels nur dann, wenn eine anderweitige, konkret verfügbare Unterbringungsmöglichkeit dem Wohl des Kindes nicht besser entsprechen würde.

 

Ein Vormund, der unter mehreren konkret verfügbaren Unterbringungsmöglichkeiten nicht die dem Kindeswohl am besten entsprechende Unterbringungsmöglichkeit auswählen würde, ist nicht bereit, im wohlverstandenen Interesse des Mündels zu handeln und deshalb zur Führung der Vormundschaft nicht geeignet.

 

Auch unter Berücksichtigung der tangierten Grundrechte der Beteiligten muss ein Verwandter, der auch die Betreuung eines Kindes übernehmen will, bei der Auswahl des Vormundes nur dann vorrangig berücksichtigt werden, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes mit der Auswahl eines anderen Vormundes besser gedient wäre (BVerfG, Beschluss vom 24.6.2014, Az. 1 BvR 2926/13).

 

Entgegen der von der Kindesmutter vertretenen Ansicht kommt es daher bei der Auswahl des Vormundes nicht allein darauf an, ob die Unterbringung bei den Schwestern der Kindesmutter das Wohl der Kinder gefährden würde oder die Schwestern zur Betreuung und Versorgung geeignet sind. Die Schwestern der Kindesmutter wären bei der Auswahl des (betreuenden) Vormundes vielmehr erst dann vorrangig zu berücksichtigen, wenn nicht aufgrund konkreter Erkenntnisse angenommen werden könnte, dass eine außerfamiliäre Fremdunterbringung dem Wohl aller beteiligten Kinder besser entspricht.

 

Die Zwillinge D... und E... sind bereits im Säuglingsalter durch die Kindesmutter vernachlässigt worden, was nach den Ausführungen der Sachverständigen die weitere geistige Entwicklung der Kinder erheblich gefährdet. Der Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit dem Verfahrensbeistand die Unterbringung in einer qualifizierten Erziehungsstelle – also bei „Profi – Pflegeeltern", die erhebliche Erfahrungen in der Versorgung und Betreuung erhöht förderbedürftiger Kinder mitbringen – jedenfalls für kindeswohldienlicher.

 

Frau B... könnte als alleinerziehende, berufstätige Betreuungsperson den erhöhten Förderbedarf von D... und E... sowie das Bedürfnis der Kinder nach emotionaler Sicherheit, einem sicheren Lebensort und stabilen Lebensverhältnissen jedenfalls nicht in gleicher Weise erfassen und abdecken wie eine qualifizierte Erziehungsstelle. Da die Lebensverhältnisse von Frau B... zudem durch erhebliche Schulden erschwert werden, über deren Höhe diese den Überblick verloren hat, besteht die konkrete Gefahr, dass die finanziell prekäre Lage auch negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Versorgung der Kinder haben kann.

 

Zwar könnten die bestehenden Schwierigkeiten durch die Beratung sowie durch ambulante Hilfen des Jugendamtes und familiäre Unterstützung abgemildert werden. Das Versorgungs- und Betreuungsniveau in einer mit erhöht förderbedürftigen Kindern erfahrenen Pflegefamilie kann jedoch auch mit solchen ambulanten Hilfen nicht erreicht werden.

 

F... ist nach den Feststellungen der Sachverständigen ein schlecht gefördertes, vernachlässigtes und belastetes Kind, das ein hohes Risiko in sich trägt, Verhaltensstörungen zu entwickeln und sich nicht altersbedingt zu entwickeln. In Übereinstimmung mit dem Verfahrensbeistand dient deshalb die Unterbringung in einer qualifizierten Pflegestelle dem wohlverstandenen Interesse des Kindes.
Auch wenn an der persönlichen und fachlichen Eignung von Frau C... für die Betreuung und Versorgung von F... keine Zweifel bestehen, kann auch sie das Betreuungs- und Versorgungsniveau einer qualifizierten Pflegestelle als alleinerziehende, berufstätige Betreuungsperson nicht erreichen. Zudem entspricht die Unterbringung von F... in einer außerfamiliären Pflegefamilie den erlebnisbasierten Wünschen und Vorstellungen von F... weitaus besser. F... hat besondere Wünsche, bei Verwandten aus ihrer Herkunftsfamilie untergebracht zu werden, nicht geäußert; sie möchte gerne in einer aus mehreren Personen bestehenden Familie, die ohne Streit zusammenlebt, leben. Frau C... lebt jedoch in einem Einpersonenhaushalt.

 

Umstände, die im Regelfall die Fremdunterbringung von Kindern bei Personen ihrer Herkunftsfamilie vorzugswürdig erscheinen lassen, greifen vorliegend nicht durch.

 

Die Kinder haben keine persönliche Bindung zu ihren Tanten. Die Zwillinge sind Frau B... nicht bekannt. F... hatte bei ihrem letzten Gespräch mit dem Verfahrensbeistand keine konkrete Erinnerung an Frau B... und Frau C..., konnte deren Namen nicht nennen und gab an, diese zuletzt vor zwei oder zweieinhalb Jahren gesehen zu haben.

 

Die Schwestern der Kindesmutter sind zudem weder positiv in Erscheinung getreten, als die Kindesmutter Probleme mit der Betreuung und Versorgung ihrer Kinder hatte und die Hilfe und Unterstützung ihrer Herkunftsfamilie dringend benötigt hätte, noch haben sie versucht, während der Fremdunterbringung der Kinder Kontakt zu diesen aufzunehmen und eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen.

 

Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Fremdunterbringung der Kinder im Haushalt ihrer Tanten die künftige Pflege des Mutter-Kind-Verhältnisses erleichtern würde.

 

Das Verhältnis der Kindesmutter zu ihren Schwestern ist konfliktbelastet. Beide Schwestern haben zu der Kindesmutter eine kritisch distanzierte Grundhaltung. Frau B... hat gegenüber dem Jugendamt angegeben, dass sie ihre Schwester dafür hasse, dass sie sich nicht um ihre Kinder gekümmert habe. Frau C... gab an, dass sie sauer/wütend sei, dass ihre Schwester die Unterstützungsangebote nicht angenommen habe. Es ist deshalb anzunehmen, dass bei der Unterbringung der Kinder in einer Pflegefamilie, die der Kindesmutter und deren Herkunftsfamilie neutral gegenüber steht, bessere Grundvoraussetzungen für die künftige Pflege des Mutter-Kind-Verhältnisses bietet als bei der Unterbringung der Kinder bei den Schwestern der Kindesmutter.

 

Die Geschwisterbindung kann auch im Rahmen einer außerfamiliären Fremdunterbringung durch eine Unterbringung aller drei Kinder in einer Pflegefamilie gefördert werden.

 

Dem Wunsch der Kindesmutter, ihre Kinder in einer türkischen Familie aufwachsen zu lassen, kann auch bei einer Fremdunterbringung außerhalb der Herkunftsfamilie Rechnung getragen werden, wie die vom Jugendamt für D... und E... ausgewählte Pflegefamilie mit türkischen Wurzeln zeigt. Die Schwestern der Kindesmutter können auch ohne die Bestellung zum Vormund in die Hilfeplanung eingebunden werden, um auf diesem Wege das nach der angegebenen türkischen Tradition besonders bedeutsame verwandtschaftliche Verhältnis zu den Kindern zu pflegen.