Beendigung der Erziehungshilfe wegen Ungeeignetheit der Pflegeperson

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So ein Pflegeverhältnis ist ein fragiles Gebilde. Das Haus ist öffentlich, die Kinder sind besonders bedürftig, die leiblichen Eltern oftmals nicht gerade begeistert davon, dass das Kind nicht bei ihnen leben kann und das Jugendamt prüft, bewertet, kritisiert und berät am laufenden Band. Bei Ereignissen, Krisen oder Vorfällen in der Pflegefamilie können die Folgen oftmals ganz anders sein, als in Familien, in den en kein Kind als Pflegekind lebt. Lassen sich die Pflegeeltern etwas zu Schulden kommen, wird ruck-zuck die Frage der Eignung und die Frage des Verbleibs der Pflegekinder im Haushalt der Pflegefamilie diskutiert. Darum sollte man sich für solche Diskussionen wappnen. Im nachfolgenden Urteil beschäftigt sich das Verwaltungsgericht Lüneburg intensiv mit der Frage der Eignung der Pflegeeltern, die in den Verdacht geraten sind, Straftaten im sexuellen Bereich begangen zu haben. Gerade bei diesem Thema läuten bei allen professionell Beteiligten sofort alle Alarmglocken und man sollte offen und ernsthaft mit den Vorwürfen umgehen.

 

VG Lüneburg 4. Kammer, Urteil vom 14.11.2017, 4 A 16/16

 

  1. Die Gewährung von Erziehungshilfe in Vollzeitpflege setzt die persönliche Eignung der Pflegeperson voraus.
  2. Die Darlegungs- und Beweislast für die Annahme, die Pflegeperson sei ungeeignet, trägt der Jugendhilfeträger.
  3. Konsum von kinder- und/oder jugendpornografischem Material kann als Indiz für pädophile bzw. hebephile Neigungen herangezogen werden und kann die Ungeeignetheit einer Pflegeperson begründen.

 

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid durch den ihm die bisher laufend gewährte Erziehungshilfe für seine Pflegekinder versagt wird.

 

Im September/Oktober 2015 ließ die Staatsanwaltschaft Lüneburg (Az.: 1303 Js 25631/15) die Wohnung des Klägers durchsuchen. Im Raum stand der Anfangsverdachts des schweren sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes J. L.. Die Verdachtslage beruhte auf den Behauptungen der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg hat das Verfahren im März 2016 mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Zuge der Durchsuchung sind bei dem Kläger mehrere Mobiltelefone, ein Notebook und eine externe Festplatte beschlagnahmt worden. Auf den Datenträgern wurde teilweise kinder- und jugendpornographisches Material gefunden. Das daraufhin von der Staatsanwaltschaft Hannover geführte Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes Kinder- und jugendpornographischer Schriften (Az.: 3744 Js 67636/16) ist aus Opportunitätsgesichtspunkten nach § 153 StPO am 28.12.2016 eingestellt worden.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist unbegründet.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Erziehungshilfe für H. und I. ab dem 01.01.2016, denn er ist - wie dargelegt werden wird - persönlich ungeeignet.

 

Die persönliche Eignung der Pflegeperson ist - sofern wie hier keine Pflegeerlaubnis erforderlich ist entsprechend den Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII zu beurteilen, sie ist somit daran zu messen, ob das Wohl des Kindes/Jugendlichen in der Pflegestelle gewährleistet ist. Bedeutsam können hierfür sowohl Mängellagen sein, die von der Pflegeperson selbst hervorgerufen werden, als auch solche, die von dem Umfeld der Pflegeperson ausgehen. Das Wohl des Kindes ist bereits dann nicht gewährleistet, wenn durch einen Umstand, der im Einflussbereich der Pflegeperson liegt, ein Schaden an einer rechtlich geschützten Position des Kindes entstehen könnte (in diesem Sinne auch Busse a.a.O). Nach §§ 44 Abs. 2 SGB VIII, 72 a SGB VIII wäre das Wohl eines Kindes/Jugendlichen in der Pflegestelle unter keinen Umständen gewährleistet, wenn die Pflegeperson wegen einer Straftat rechtskräftig nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs verurteilt worden ist. Falls der Jugendhilfeträger davon ausgeht, dass das Wohl des Kindes/Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist, trägt dieser hierfür die Darlegungs- und Beweislast (VG Augsburg a.a.O; VG München, Urteil vom 11.12.2013, M 18 K 12.5685, veröffentlicht in JURIS; Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, Stand 22.09.2017; § 44 SGB VIII, Rn. 42). Bedenken der Behörde hinsichtlich der Eignung der Pflegeperson müssen substantiiert und mit konkreten Ereignissen belegt werden, um tragfähig zu sein (VG Augsburg a.a.O).

 

An diesen Vorgaben gemessen weist der angegriffene Bescheid vom 14.01.2016 keine rechtlichen Fehler auf.

 

Der Beklagte ist wegen des aufgefundenen kinder- und jugendpornografischem Materials auf den Speichermedien des Klägers zu Recht zur Einschätzung gelangt, dass dem Kläger die persönliche Eignung für eine Vollzeitpflege fehlte.

 

Für die Rechtmäßigkeit der allein nach jugendhilferechtlichen Vorschriften zu beurteilenden behördlichen Entscheidung ist es ohne Belang, dass die Staatsanwaltschaft Hannover das Verfahren wegen der im Raum stehenden Strafvorwürfe der §§ 184b und 184c StGB eingestellt hat. Bei Erlass des angefochtenen Bescheides war das strafrechtliche Ermittlungsverfahren noch anhängig und allein schon aufgrund des Inhalts der erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe war der Beklagte gehalten sicherzustellen, dass das Kindeswohl der beiden Neffen des Klägers nicht gefährdet wird. Der Kläger war zunächst mit einer Fremdunterbringung der Kinder auch einverstanden. Die Einstellung des letzten Ermittlungsverfahrens ist dann erst am 28. Dezember 2016 und nach § 153 StPO unter Opportunitätsgesichtspunkten erfolgt mit dem Zusatz, dass der Kläger im Wiederholungsfalle mit einer solchen Einstellung nicht noch einmal rechnen können. Zudem erfolgte die Einstellung auch deshalb, weil eine nur geringe Anzahl kinderpornographischer Dateien gefunden worden war.

 

Nach Ansicht der Kammer ist eine Pflegeperson, bei der strafrechtlich relevante Missbrauchsabbildungen aufgefunden werden, dann als ungeeignet im Sinne der Jugendhilfe anzusehen, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür feststellen lassen, dass die Kinder/Jugendlichen von der Pflegeperson selbst an kinder-/jugendpornografisches Material herangeführt worden sind oder nicht auszuschließen ist, dass die Pflegeperson pädophil bzw. hebephil veranlagt ist. Mit Blick auf das sexuelle Verlangen von Pädophilen/Hebephilen kann der Konsum von Missbrauchsabbildungen als Indiz dafür gewertet werden, dass die betroffene Person entsprechend veranlagt ist. Zwar gelingt es einem Teil der betroffenen Personen ihre sexuellen Impulse auf der Fantasieebene zu belassen, jedoch besteht stets die latente Gefahr, dass das sexuelle Verlangen nach Kindern/Jugendlichen in konkrete Missbrauchshandlungen umschlagen kann. Es ist jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn die Jugendämter bei der Suche nach Pflegepersonen im besonderem Maße darauf achtet, dass entsprechende Neigungen nicht vorliegen. Dies gilt umso mehr, da bei der Gewährung von Vollzeitpflege die unterzubringenden Kinder bzw. Jugendlichen häufig traumatisiert und daher besonders schutzbedürftig sind.

 

Zwar sind Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Missbrauchsabbildungen seinen Pflegekindern zugänglich gemacht hat, nicht zu erkennen. Dem Verwaltungsvorgang des Beklagten sind insbesondere keinerlei Hinweise darauf zu entnehmen, dass die Pflegekinder dergleichen Bilder angeschaut haben oder dass die Pflegekinder Äußerungen oder ein Verhalten an den Tag gelegt hätten, dass auf ein fehlgeleitetes, normabweichendes oder gestörtes Sexualverhalten schließen lassen könnte.

 

Es kann aber mit Blick auf das Kindeswohl nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger pädophil bzw. hebephil veranlagt ist.

 

Das bloße Auffinden/Vorhandensein von Missbrauchsabbildungen auf elektronischen Speichermedien besagt zunächst noch nichts über deren Konsum. Es ist nämlich allgemein bekannt, dass durch Schadsoftware und/oder Programmroutinen beim Surfen im Internet durchaus auch dem Nutzer unliebsame Dateien automatisiert auf dessen Geräte heruntergeladen werden können, ohne dass der Nutzer hiervon Kenntnis erlangt. Erst wenn sich auch weitere Anhaltspunkte dafür feststellen lassen, dass ein Nutzer die bei ihm vorhandenen Missbrauchsabbildungen bewusst aus dem Internet heruntergeladen und/oder solche Bilddateien geöffnet hat, ist die Annahme begründet, dass der Nutzer auch Konsument ist bzw. als Konsument nicht ausgeschlossen werden kann.

 

Nach Auswertung der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hannover sprechen gewichtige Umstände dafür, dass das Bildmaterial auf dem Handy Samsung Note 4 und dem Notebook Acer Aspire automatisch - also ohne aktives Handeln und ohne Wissen des Klägers - heruntergeladen worden ist. Sämtliche Bilder waren nämlich lediglich in einem Unterverzeichnis des Firefox-Internetbrowsers gespeichert. Völlig anders verhält es sich mit dem Bildmaterial, welches auf der externen Festplatte HDD Trekstore festgestellt worden ist. Hier lässt sich anhand des Dateipfades und der Ordnerbezeichnung klar belegen, dass der jeweilige Ordner und die darin aufgefundenen Dateien von dem Nutzer manuell erstellt worden sind (vgl. Bl. 35, 36 Sonderheft Beweismittel zur Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hannover). Es erscheint der Kammer fernliegend, dass eine fremde Person auf einer Festplatte, die ihr eventuell leihweise zur Verfügung gestellt worden ist, manuell Ordner anlegt und diese bei Rückgabe der Festplatte nicht löscht. Ebenso fernliegend ist die Annahme, der Kläger habe diese Festplatte bereits mit den darauf gespeicherten Bildern erworben, denn üblicherweise werden gespeicherte Inhalte vor Verkauf gebrauchter Hardware gelöscht. Insoweit bestehen begründete Anhaltspunkte dafür, dass diese Ordner von dem Kläger angelegt worden sein könnten. Von welchen Personen der Kläger die Geräte gebraucht erworben haben bzw. an welche Personen der Kläger die Geräte ausgeliehen haben will, ist nicht vorgetragen. Dieser Vortrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wirkt auch deshalb vorgeschoben, weil der Kläger im familiengerichtlichen Verfahren in seiner Schutzschrift vom 04.12.2015 eingeräumt hat, dass auf den beschlagnahmten Rechnern pornographische Material gefunden werden könnte, weil er entsprechendes Material im Internet angeschaut habe. Er habe aber nicht wissentlich kinderpornographische Dateien heruntergeladen. Somit kann der Kläger als Konsument von Missbrauchsabbildungen und somit als pädophil bzw. hebephil veranlagt nicht verlässlich ausgeschlossen werden.

 

Aus den vorstehenden Gründen ist ebenso ohne Belang, dass das Familiengericht eine Bestellung des Klägers als Pfleger nicht aufgehoben hat. Zwar mag eine konkrete Kindeswohlgefährdung auch aufgrund des Alters der beiden Neffen des Klägers nicht bestanden haben. Hieraus kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Kläger auch im jugendhilferechtlichen Sinn geeignete Pflegeperson gewesen ist.

 

Aus dem Umstand, dass der Kläger seine beiden Neffen im hier streitigen Zeitraum in seinem Haushalt weiterhin betreut hat, folgt allein ebenfalls kein Anspruch auf Fortgewährung von Vollzeitpflege durch den Kläger. Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Vollzeitpflege ist die Eignung der Pflegeperson.

 

Die Rückforderung von Pflegegeld für den Monat Januar 2016 lässt Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen. Nachdem die beiden Kinder mit Zustimmung des Klägers zunächst außerhalb des Haushalts des Klägers untergebracht worden waren, hatte der Kläger am 3. Dezember 2015 bei dem Beklagten einen Antrag auf anderweitige vollstationäre Unterbringung seiner Neffen gestellt. Diesen Antrag hat er erst mit Schreiben vom 5. Januar 2016 zurückgezogen, nachdem er zuvor ohne Absprache mit dem Beklagten die Kinder in seinen Haushalt zurückgeholt hatte.