Kinderschutzzentren zur Frage der Sicherheit und Verlässlichkeit des Lebensortes von Kindern
Seit so vielen Jahren wir schon diskutiert und gestritten, ob man die „rechtlich abgesicherte Dauerpflege" als Rechtsinstitut endlich einführt und schützt. Leider können sich die Verantwortlichen nicht zu diesem für die Kinder so wichtigen Schritt durchringen. Es wird dann viel mit den Rechten der leiblichen Eltern, der Notwendigkeit für Kinder, Bindungen und Beziehungen zu ihren leiblichen Verwandten aufzubauen oder mit dem Argument, dass nur das Zusammenleben der Kinder mit ihren leiblichen Eltern im Interesse des Kindeswohls liegt. Dabei wird leider viel zu wenig über das normale und natürliche kindliche Bedürfnis nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Kontinuität gesprochen und gestritten. Kinder brauchen ein Nest, das von Löwen und Tigern bewacht wird und in dem das Kind sicher und glücklich (kindlich) sein darf. Ob das in der leiblichen Familie oder in einer Pflegefamilie gewährt wird, ist zweitrangig. Das Bedürfnis muss befriedigt werden, darauf kommt es an.
Genau zu diesem Punkt haben jetzt die Kinderschutzzentren in Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung Stellung genommen. Es loht sich, diese einmal zu lesen.
Die Unterbringung von Kindern außerhalb der Familie ist für Kinder wie für Eltern in der Regel mit einer Krise und/oder seelischer Verletzung (Trauma) verbunden. Daher bedarf es eines Vorgehens, das sämtliche zur Verfügung stehenden und individuell zu entwickelnden Hilfen und Möglichkeiten ausschöpft, ehe eine Unterbringung außerhalb der Familie in Erwägung gezogen wird. Das Vorgehen hat in einem sorgfältigen Abwägungs- und Beteiligungsprozess zu geschehen und Bedingungen zu beachten, die für eine gute und in allen Bereichen förderliche Entwicklung von Kindern maßgeblich sind. Besondere Beachtung müssen dabei bestehende Bindungen und Beziehungen erfahren. Kinder brauchen sichere Bindungen.
Kinder brauchen starke und verlässliche Bindungsangebote, um ihre Entwicklungsaufgaben bewältigen zu können. Insbesondere die Kinder, die frühe Traumatisierungen und Gewalt erlebt haben, benötigen Hilfen, die Schutz, Kontinuität und Sicherheit herstellen. Die Zusammenarbeit mit den leiblichen Eltern und den Pflegeeltern im Handlungsfeld der Pflegekinderhilfe ist deshalb ein balancierender Prozess und ein wichtiger Faktor dafür, dass Kinder in neuen Hilfen Bindungen entwickeln können. Dieser muss freigehalten werden von wechselseitigen Polarisierungen, da die Kinder sonst in Loyalitätskonflikte geraten bzw. verstrickt bleiben können, die dann bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben mitschwingen.
Leibliche Eltern brauchen auch und besonders nach Beginn einer dauerhaften Unterbringung ihres Kindes Unterstützung und Beratung zur Perspektiv- und Verantwortungsklärung und ggf. zur Akzeptanz dieser Fremdunterbringung. Diese Hilfen müssen zusätzlich zu den Hilfen für die Kinder und Pflegeeltern Standardangebote für die Familien sein. Beratungs- und Unterstützungsleistungen für die Pflegeperson sollten daher auch die konstruktive Gestaltung von Kontakten zur Herkunftsfamilie und den Umgang mit eigenen Grenzen und Haltungen thematisieren. Kinder brauchen entwicklungsoffene Perspektiven–individuelle Hilfeplanung und Partizipation als Schlüsselelemente.
Grundsätzlich gilt, dass Hilfeprozesse offen gehalten werden müssen im Sinne der angemessenen Berücksichtigung kindlicher Entwicklungsperspektiven. Gleichwohl müssen Schutz und Beziehungskontinuität gewährleistet werden. Dieser Prozess ist freizuhalten von übermäßiger rechtlicher Vornormierung auf festgelegte und der kindlichen Entwicklung unangemessenen Zeitperspektiven. Der Einzelfall und seine spezifischen Bedingungen in Bezug auf Alter und Entwicklungsstand des Kindes, auf die Veränderungspotenziale der Herkunftsfamilie und die Entwicklungen und Bedingungen innerhalb der Pflegefamilie müssen im Hilfeplanprozess angemessen Berücksichtigung finden und sich in der regelmäßigen Hilfeplanung niederschlagen.
Das Hilfeplanverfahren ist deshalb der zentrale fachliche Schlüsselprozess, in dem alle Perspektiven berechtigt Geltung erlangen müssen. Dazu bedarf es weiter zu entwickelnder geeigneter Verfahren und Formen der Zusammenarbeit. Zuvorderst muss aber das Kind als Subjekt der Hilfe strukturell und altersgerecht in allen Phasen des Hilfeprozesses beteiligt sein. Hier zählen nicht nur geeignete Beteiligungsmethoden, sondern auch und vor allem die Fähigkeit der Interpretation und „Übersetzung" des Kindeswillens. Die geplanten Veränderungen zum Recht auf uneingeschränkte Beratung und die Schaffung von Strukturen der Ombudschaft sind dazu wichtige und ergänzende Elemente.
Kinder brauchen sichere Strukturen–Qualifizierung und Qualitätsentwicklung im Hilfesystem. Gerade mit Blick auf Bindung und Verlässlichkeit muss das Konzept der Bereitschaftspflege neu überdacht werden. Die zeitliche Begrenzung für solche akut vorläufigen Pflegeverhältnisse müssen individuell und am Kind gemessen / auf das Kind zugeschnitten gestaltet werden. Wenn die Erziehungsfähigkeit von Eltern im Rahmen des Unterbringungs- und/oder Rückführungsverfahrens zu prüfen ist, haben entsprechende Begutachtungen qualifiziert und zeitnah und in einem dafür definierten Zeitrahmen zu erfolgen.
Übergangsprozesse sowohl von Eltern zu Inobhutnahmestellen oder Bereitschaftspflegestellen als auch von letzteren zu mittelfristigen bis dauerhaften Unterbringungen sind Schritt für Schritt und durch fachliche Beratung für alle Beteiligten zu gestalten. Zu Übergängen gehört, Kontaktabbrüche für die Kinder zu vermeiden und Modelle prozessorientierter Beziehungsgestaltung zu vermitteln. Das Hilfesystem braucht mehr gestaltete Übergänge!
Dazu ist es notwendig, Prozesse, Zuständigkeiten und Ressourcen zwischen unterschiedlichen Diensten und Einrichtungenauszubauen und abzustimmen. Aber auch geeignete Wohn- und Unterbringungsformen zu stärken, die die systemische Sicht auch konzeptionell umsetzen und flankierende Hilfen nach §27 ff. SGB VIII ermöglichen.
Eine Qualifizierung von Pflegepersonen, eine konsequente Ausstattung der Beratungsdienste, klare Verantwortlichkeiten in den Jugendämtern im Sinne der Qualitätssicherung und die unbedingte Beteiligung des Kindes am Entscheidungsprozess sind die Basis für eine qualifizierte Pflegekinderhilfe. Eine hilfe-, unterstützungs- und systemisch orientierte Haltung ist dabei zugrunde zu legen (vgl. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF)).Kinder vor Gewalt schützen -die Sicherung des Kindeswohls als zentrales Prinzip in allen Hilfeformen.
Zeitliche Kontinuität, vertrauensvolle Beziehungen, die Vermeidung bzw. Bearbeitung von Loyalitätskonflikten sind für das Wohl des Kindes und seiner Entwicklung von immenser Bedeutung: Sie sind aber nur mit einem systemischen Verständnis und einer dialogorientierten Haltung verhandelbar.
Dafür braucht es vor allem geeignete Rahmenbedingungen, Qualifikation und transparente Zusammenarbeit. Das Kind muss dabei in allen Phasen und mit Blick auf seine Entwicklungsaufgaben beteiligt sein.
Die Sicherung des Kindeswohls muss auch in diesen Hilfen das zentrale Prinzip sein. Deshalb brauchen wir auch im System der Pflegekinderhilfe noch weitere Anstrengungen und Rahmenbedingungen zur Qualifizierung der entsprechenden Akteure, um Gefahren für Kinder wahrnehmen und Hilfe ermöglichen zu können. Insbesondere für den Handlungskontext in Fällen sexueller Gewalt und ihrer spezifischen Dynamik in Kurz- und Langzeitpflegeverhältnissen bedarf es weiterer Qualifizierung, Beratungsstrukturen und systemisch ausgerichteter Schutzkonzepte.