Neulich im Amtsgericht 11

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Es war mal wieder „Vatertag" im Amtsgericht.

Das Thema Vater, seine Bedeutung, seine Rolle, seine Wichtigkeit ... ein beliebtes Thema im Gespräch zwischen Richter, Anwalt, Gutachter, Jugendamt und Sachverständigen. J., um den ging es, war fünf Jahre alt und lebte bereits seit vier Jahren und fünf Monaten im Haushalt der Pflegeeltern. Dort ging es ihm gut.

Die ersten drei Monate war das Kind zusammen mit der leiblichen Mutter in einer Mutter-Kind-Einrichtung, anschließend verbrachte es vier Monate in einer Bereitschaftspflegefamilie.

 

Seitdem lebt J. dauerhaft und verlässlich bei den Pflegeeltern. Nun meldete sich plötzlich der leibliche Vater. Der bis dahin unbekannt war. Seine Vaterschaft erkannte er an, die leibliche Mutter, die das Kind seit der Herausnahme nicht mehr gesehen hat und das auch nicht verlangt, stimmte zu.

Er wolle Umgang. Es sei sein Sohn. Jedes Kind brauche einen Vater. Er wolle dem Kind die Welt zeigen und als Vater eine Rolle in seinem Leben spielen. Das Amtsgericht hörte alle an, holte ein Gutachten ein und lud zur Anhörung. Die Sachverständige war geladen und verteidigte energisch ihr gutachterliches Ergebnis.

Es müsse umgehend mit regelmäßigen und zeitlich eng getakteten Umgängen begonnen werden. Zunächst begleitet, um ein Vertrauensverhältnis zwischen Vater und Sohn aufzubauen, dann, möglichst schnell, auch unbegleitet.

 

Auf die Frage nach dem Warum eines solchen Umgangs kam die befürchtete aber leider erwartete Antwort: Jedes Kind brauche einen Vater. Das sei für die kindliche Entwicklung wichtig.

Sonst bestehe die Gefahr, später in Identitätskonflikte zu geraten. Der Einwand, das Kind habe aber doch einen Vater, nämlich den Pflegevater, ließ die Sachverständige nicht gelten. Es sei wichtig für das Kind, Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie zu haben.

Sonst würde es später, gerade in der Pubertät, Probleme bekommen. Es entspann sich eine Diskussion über den Begriff „Vater".

Nach Ansicht der Pflegeeltern ist das derjenige, der mit dem Kind zusammenlebt, es tröstet, es erzieht, sich mit ihm streitet, es zum Fußball begleitet, mit ihm in den Urlaub fährt oder mit ihm „Männergespräche" führt.

Nach Ansicht der Sachverständigen derjenige, der das Kind gezeugt habe.

 

Dieser „müsse" eine Vaterrolle im Leben des Kindes einnehmen. Darauf habe dieser ein Recht. Leider wurde der Wunsch der Pflegeeltern, doch einmal zu unterscheiden zwischen der Kenntnis des Kindes über seine Herkunft (zur Not auch über persönliche Kontakte) und der „Vaterrolle" zu unterscheiden, wurde leider anschließend nicht berücksichtigt.

Irgendwie waren sich alle einig, Umgang müsse sein, es sei wichtig für jedes Kind Kontakt zu beiden Elternteilen zu haben, das Kind stehe in einem Loyalitätskonflikt, außerdem könne es sonst später zu Identitätsproblemen kommen.

Im Ergebnis gab es dann begleitete Umgangskontakte alle vier Wochen mit dem Ziel, nach sechs Monaten unbegleitete Umgänge zu installieren.

Naja. Ein typisches Beispiel dafür, dass sich ALLE Beteiligten, allen voran die Richter/innen beim Familiengericht fortbilden sollten in den Themen kindliche Entwicklung, Bezugspersonen, Mutter und Vater.