Voraussetzungen der Eingliederungshilfe § 35 a SGB VIII

| §35a SGB VIII, seelische Behinderung, Eingliederungshilfe

(Pflege-) Kinder, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, haben, wenn ihre (seelische) Entwicklung mehr als sechs Monate von der „Norm" abweicht, Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Das können Supervisonskosten für die Pflegeeltern sein. Oder Kosten für eine Spieltherapie bei einer nicht bei der Krankenkasse zugelassenen Einrichtung. Oder eine Schulassistenz. Oder ein Entlastungswochenende. Der Katalog ist hier lang.

 

 

Voraussetzung ist jedoch die Feststellung der „seelischen Behinderung". Und die zu bekommen, ist bei vielen Jugendämtern eine echte Herausforderung. Die Hürden, Voraussetzungen und Bedingungen sind bei den Jugendämtern höchst unterschiedlich hoch, in individuellen „Dienstanweisungen" geregelt oder abhängig von einem langwierigen und komplizierten Antragsverfahren. Manche Jugendämter schicken seelisch behinderte Kinder gleich zum Sozialamt, leisten also gar keine Hilfe nach § 35a SGB VIII, manche Jugendämter verlangen eine mehrtägige stationäre Diagnostik in einer bestimmten Kinder- und Jugendpsychiatrie.

 

Wichtig ist zu wissen, dass Anspruchsinhaber das Kind selbst ist. Wer das Kind selbst vertreten darf, kann auch entsprechende Ansprüche geltend machen und durchsetzen. Ob dazu die allgemeine Handlungsvollmacht nach § 16888 BGB reicht, ist umstritten. In der Regel verlangen die Gerichte einen Antrag vom Sorgeberechtigten.
In einem aktuellen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sind noch einmal die Voraussetzungen aufgelistet, die für einen Anspruch nach § 35a SGB VIII nötig sind. Und da steht an 1. Stelle die fachliche Einschätzung des Jugendamtes. Dieses kann sich also nicht mit Verweis auf Ärzte, Therapeuten oder andere Bezugsquellen aus der „Begründungs-) Verantwortung stehlen.

 

Beschluss des OLG Lüneburg vom September 2018 zu den besonderen Voraussetzungen der Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a in Form einer Schulbegleitung.
Der Antragsteller hatte einen Antrag auf Eingliederungshilfe beim Jugendamt gestellt. Das Jugendamt hatte diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Juli 2018 abgelehnt. Daraufhin ging der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht in Beschwerde. Das Verwaltungsgericht erkannte den Bescheid des Jugendamtes als richtig an.

Nachdem sich auch das Oberverwaltungsgericht mit der nun folgenden Beschwerde beschäftigt hatte, wies es die Forderungen des Antragstellers zurück.

 

Das OVG Lüneburg erläutert in seinem Beschluss vom 27. September 2018 (10 ME 357/18) einzelne die Voraussetzungen, die nötig sind, um Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zu gewähren.

 

(Auszüge) Die erste Voraussetzung für die Gewährung dieser Eingliederungshilfe ist die Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit und dass die Teilhabe des Kindes am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzung haben die Fachkräfte des Jugendamts selbst zu prüfen und festzustellen. Sie haben also aufgrund ihrer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes oder Jugendlichen und ihres sozialpädagogischen und gegebenenfalls psychologischen Sachverstands zu beurteilen, wie sich die Funktionsbeeinträchtigung im Hinblick auf die Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft auswirkt, ohne dass insoweit eine fachärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme erforderlich ist. Auch die weitere nach § 35a Abs. 2 SGB VIII zu treffende Entscheidung, ob eine bestimmte Hilfe zur Deckung des Bedarfs im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, ist vom Jugendamt in der Regel allein aufgrund seiner eigenen Fachkompetenz und im Rahmen des mit allen Beteiligten durchzuführenden Hilfeplanverfahrens gemäß § 36 Abs. 2 SGB VIII zu treffen, ohne dass insoweit eine fachärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme notwendig ist.

 

Allerdings kann der nach § 35a Abs. 1a SGB VIII zur Feststellung der Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit einzuholenden fachärztlichen Stellungnahme auch für die Beurteilung dieser Fragen eine sowohl vom Jugendamt als auch vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigende beachtliche Aussagekraft zukommen.
Sie liegt nur vor, wenn die festgestellte seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Kindes oder Jugendlichen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder teilen, reichen nicht für die Annahme einer behinderungsrelevanten seelischen Störung. Eine solche ist aber bei einer auf Schulversagensängsten beruhenden Schulphobie, einer totalen Schul- und Lernverweigerung oder einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und der Vereinzelung in der Schule zu bejahen.

 

Das Gericht hat die Beschwerde des Antragsstellers als nicht begründet angesehen. da dieser das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35a SGB VIII für die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten der Schulbegleitung nicht glaubhaft gemacht hat. Dabei bezog sich das Gericht im Wesentlichen darauf, dass die hier eine Beeinträchtigung der Teilhabe des Kindes am Leben in der Gesellschaft nicht vorliegen würde.