Fehleinschätzungen und Versäumnissen im "Fall Staufen"

| Gerichtsurteil, Pflegeeltern

Richterfortbildung als Pflicht.

 

Der Fall „Staufen". Eine Mutter hatte mit ihrem neuen Lebensgefährten ihr Kind in Darknet „angeboten". Das Kind wurde schwer sexuell missbraucht. Jugendamt und Familiengericht waren „an der Familie" dran. Ob und wenn ja welche Versäumnisse es auf Seiten dieser Behörden gegeben hat, wird intensiv diskutiert. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung findet klare Worte und fordert (unter anderem) die Pflicht der Familienrichter/innen, sich fortzubilden. Eine Forderung, die aus Sicht der Pflegeeltern unbedingt zu unterstützen ist. Wie oft entscheiden Familienrichter/innen völlig ohne Rücksicht auf kindliches Zeitempfinden, auf den Wert gewachsener Bindungen, auf die Angst des Kindes vor Verlust oder auf die Angst der Kinder ihr Zuhause und die Angst der Pflegeeltern und Pflegegeschwister, ihr Kind/Brüderchen zu verlieren. Wobei regelmäßig weniger die „böse" Absicht oder der Fokus auf die tief im Herzen der Bürgerinnen und Bürger verwurzelten „Blut ist dicker als Wasser" Theorie, der Grund ist. Sondern schlicht Nichtwissen. Schließlich sind Verbleibensverfahren oder Umgangs- und Sorgeverfahren unter Beteiligung von Pflegeeltern selten. Sich extra dafür fortzubilden, scheint zunächst unverhältnismäßig. Es ist aber, gerade wie der Fall Staufen" zeigt, nötig. Aus Kinderschutzsicht zwingend. Ein erster, wichtiger Schritt wäre ja schon getan, wenn Familienrichter und Familienrichterinnen überhaupt verpflichtet wären, sich fortzubilden. Welche Themen dann gewählt werden (müssen) kann anschließend diskutiert werden.

 

Pressemitteilung vom 7.8.2018 - Missbrauchsbeauftragter Rörig zu Urteilsverkündung im Hauptprozess gegen Haupttäter Berrin T. und Christian L. im „Fall Staufen":

 

Anlässlich des Urteils im „Missbrauchsfall Staufen" gegen die Mutter des betroffenen Kindes Berrin T. und ihres Lebensgefährten Christian L. fordert der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, eine umfassende Aufarbeitung der gerichtlichen und behördlichen Versäumnisse.

 

Rörig: „Ich erwarte mit großer Spannung die Urteilsverkündung und auch, wie es mit der Aufarbeitung des Staufener Falles weitergeht. Der Fall darf nicht als regionaler Einzelfall betrachtet werden. Es gab offensichtlich strukturelle Probleme im Zusammenspiel von Gerichten und Behörden, die jetzt umfassend untersucht und aufgearbeitet werden müssen. Es geht um grundlegende Fragen der Zusammenarbeit und personellen Ausstattung von Gerichten und Behörden im Kampf um das Kindeswohl sowie der Qualifizierung beteiligter Fachkräfte. Der „Fall Staufen" legt eine Reihe von Fehleinschätzungen und Versäumnissen offen. Wir sind es dem Kind schuldig, jetzt die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Das betrifft das Land Baden-Württemberg, alle anderen Länder und auch die Bundesjustizministerin."

 

Der „Fall Staufen" zeigt eindrücklich, welche weitreichende Bedeutung die Entscheidung der Familiengerichte für Kinder und Jugendliche und ihre Familien hat. „Ich hoffe sehr", so Rörig, „dass von den Ländern zügig gesetzliche Regelungen zur familienrichterlichen Fortbildungspflicht verabschiedet werden. Eine bessere Qualifikation und die damit einhergehende fachliche Sicherheit würde die richterliche Unabhängigkeit erheblich stärken und keineswegs beeinträchtigen."

 

Rörig unterstützt die Festlegungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zu verbindlichen Regelungen zur Fortbildung von Richtern insbesondere an Familiengerichten. Dies müsse jetzt von Bundesjustizministerin Dr. Barley und der Justizministerkonferenz vorangebracht werden. Rörig: „Wir müssen uns fragen, wie viel ist uns der Kinderschutz wert? Wenn wir eine bessere Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern, Polizei und Justiz haben wollen, brauchen wir mehr und entsprechend qualifiziertes Personal." Als Bundesfamilienministerin habe sich Barley für den Kinderschutz sehr stark gemacht und entsprechende Fortbildungen gefordert. Als Bundesjustizministerin sehe er sie weiterhin in der Pflicht, sich uneingeschränkt für das Kindeswohl einzusetzen. Rörig würde begrüßen, wenn Baden-Württemberg den „Fall Staufen" zum Anlass nehmen würde, eine Bundesrats-Initiative zu Richterfortbildungen und Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter auf den Weg zu bringen.

 

„Dass die Mutter selbst, wie im Fall von Berrin T., aktiv ein Kind missbraucht und auch anderen Männern für Missbrauchstaten anbot, konnte sich das Familiengericht wohl nicht vorstellen. Ein fataler Trugschluss!", so Rörig. Es fehle vielfach an Wissen. Experten gingen davon aus, dass es 10 bis 20 Prozent weibliche Täterinnen gebe. Eine Zahl, die in der Öffentlichkeit und unter Fachkräften wenig bekannt sei. Frauen seien oft Mitwisserinnen, die den Missbrauch duldeten aus Scham, Unsicherheit oder Angst, ihre Kinder und/oder die Beziehung zu verlieren. Sie missbrauchten aber auch selbst Kinder wie im „Fall Staufen".

 

Es sei wichtig, so Rörig, dass alle Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, aber auch Eltern und die breite Öffentlichkeit mehr Wissen zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche haben. Rörig plant deshalb eine auf Dauer angelegte Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne der Bundesregierung im Umfang der Anti-Aids-Kampagne, mit der Menschen darüber informiert werden, was sexueller Missbrauch ist, wo er anfängt und was man tun kann, wenn man eine Vermutung oder einen Verdacht hat. „Es ist wichtig, dass Menschen nicht mehr wegschauen. Hierfür braucht es Wissen und Unterstützungs- und Hilfeangebote, die allen bekannt sind."

 

Rörig: „Pädokriminelle Sexualstraftäter dürfen sich nicht mehr sicher fühlen, weder im Internet, noch im Darknet oder in der realen Welt. Zur Sicherstellung des Kindeswohls und zur Eindämmung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche müssen bei allen Verantwortlichen sämtliche Handlungsoptionen ausgeschöpft werden. Der „Fall Staufen"