Amtsgericht Augsburg

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Wichtige Entscheidung des Amtsgerichts Augsburg

 

Anmerkung: Im Folgenden wird eine (alltägliche) familiengerichtliche Entscheidung über einen Verbleibensantrag dargestellt. Das Besondere daran ist, dass das Gericht bereits nach vier Monaten eine endgültige Entscheidung getroffen hat. Die Sicherheit in der verunsicherten Pflegefamilie konnte also recht schnell wieder hergestellt werden. Die 2. Besonderheit dieser Entscheidung ist die Klarheit, mit der sich das Gericht einzig und allein auf die Frage konzentriert hat, was die Herausnahme für das Kind zum jetzigen Zeitpunkt bedeuten würde. Unabhängig von der Frage der Erziehungsfähigkeit der leiblichen Eltern.

 

Amtsgericht Augsburg. Familiengericht. 404 F 982/14

In der Familiensache A., geb. am 12. August 2013,

wegen elterlicher Sorge ergeht durch das Amtsgericht Augsburg folgender Beschluss.

 

1. Der Verbleib des Kindes A., bei den Pflegeeltern wird angeordnet.

2. Von der Erhebung der Gerichtskosten des Verfahrens wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe:

 

Das Kind A. das am 12.08.2013 mit einem Geburtsgewicht von 750 Gramm zur Welt kam und unterversorgt war, ist das leibliche Kind der Kindesmutter J. und des Kindsvaters C. die nicht miteinander verheiratet sind.

 

Durch Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 29.10.2013 wurde der allein sorgeberechtigten Kindsmutter im Verfahren 404 F 2809/13 das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen, das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII, das Recht zur Entscheidung über Umgangsangelegenheiten und das Recht zur Pflege für das Kind A. entzogen.

 

Die entzogenen Teilbereiche wurden auf K. (freier Träger) übertragen.

Das Kind A. lebt seit dem 22.10.2013 bei den Pflegeeltern in Dauerpflege.

 

Die Pflegeeltern haben mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 02.04.2014 beantragt, den Verbleib des Kindes Amilia bei Ihnen gem. § 1632 Abs. 4 BGB anzuordnen.

 

Begründet wird der Antrag damit, dass der leibliche Kindesvater nicht erziehungsgeeignet sei und dass die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie eine Kindeswohlgefährdung darstellen würde. Nach der Stellungnahme der Ergänzungspflegerin vom 16.04.2014 war die Beziehung der leiblichen Eltern belastet. Es sei bereits während der Schwangerschaft und auch nachfolgend während des Aufenthalts des neugeborenen Kindes in der Kinderklinik immer wieder zu teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen den leiblichen Eltern gekommen. Aus diesem Grund habe die Kindsmutter dem Kindsvater und den Großeltern väterlicherseits über einen längeren Zeitraum hinweg den Kontakt zum Kind Amilia untersagt.

 

Der Kindesvater habe aber wesentlich dazu beigetragen, dass die Kindsmutter keinen Schwangerschaftsabbruch vornahm und sei stets daran interessiert gewesen, Verantwortung für das Kind zu übernehmen.

 

Die Großeltern väterlicherseits hätten im September 2013 die Übernahme der Verantwortung für das Kind abgelehnt, da sie nicht sicherstellen konnten, dass die Kindsmutter unvorhergesehen Kontakt mit dem Kind aufnimmt.

 

In der Stellungnahme vom 16.04.2014 hat die Ergänzungspflegerin mitgeteilt, dass aus ihrer Sicht eine Veränderung des Lebensumfeldes von A. sinnvoll und notwendig sei und dem Kind ein Aufwachen in der Herkunftsfamilie ermöglicht werden solle.

 

Dem Antrag der Pflegeeltern vom 02.04.2014 auf Verbleib des Kindes A. bei ihnen war stattzugeben, da eine Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie eine Kindeswohlgefährdung bedeuten würde.

 

Die Sachverständige Frau Dr. S. wurde im Anhörungstermin am 20.05.2014 angehört, nachdem sich alle damit einverstanden erklärt haben, dass die Sachverständige eine gutachterliche Stellungnahme abgibt.

 

Nach den in vollem Umfang nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen, welche sich das Gericht zueigen macht, stellt die jetzige Herausnahme des Kindes unter den besonderen Umständen, die bei A. zu berücksichtigen sind, unter Bindungsgesichtspunkten eine Gefährdung des Kindeswohls dar.

 

Bei Amilia muss aufgrund ihrer besonderen Situation - Geburtsgewicht von lediglich 750 Gramm - davon ausgegangen werden, dass sie mit ihren derzeit 9 Monaten noch nicht die sog. 3. Phase des Bindungskonzepts erreicht hat, welche üblicherweise im Alter von ca. 7 Monaten beginnt, sondern sich vielmehr noch in der sogenannten 2. Phase befindet.

 

In dieser 2. Phase bildet ein Kind Präferenzen heraus und lernt, Betreuungspersonen zu unterscheiden. In dieser Phase beginnt der Bindungsprozess des Kindes zu seinen Bezugspersonen. Da diese Phase eine sehr sensible Phase darstellt, würde eine Herausnahme des Kindes von den Pflegeeltern ein Risiko darstellen, welches nicht kalkulierbar und auch nicht zu verantworten ist. Es würde die Gefahr der Störung der sozial-emotionalen Entwicklung bestehen.

 

Bei einer Herausnahme des Kindes zum jetzigen Zeitpunkt würde die Gefahr bestehe, dass das Kind in eine Art Depression in Form von tiefer Trauer verfällt. Es könnten Probleme bei der Nahrungsaufnahme eintreten, welche es bei dem Untergewicht des Kindes unbedingt zu vermeiden gilt.

 

Motorische Fähigkeiten könnten beeinträchtigt werden und es besteht die Gefahr, dass das Kind Vertrauen in seine Bezugspersonen verliert und in seiner weiteren Entwicklung ein völlig distanzloses Verhalten gegenüber Mitmenschen an den Tag legt.

 

Die Verfahrensbeiständin des Kindes sowie die Vertreter des Jugendamtes haben im Anhörungstermin vom 20.05.2014 empfohlen, derzeit keine Herausnahme des Kindes von den Pflegeeltern durchzuführen.

 

Aus Sicht der Verfahrensbeiständin und der Vertreter des Jugendamtes würde eine Herausnahme des Kindes von den Pflegeeltern in der Gesamtschau ein viel zu hohes Risiko darstellen. Die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt empfehlen daher den Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie.

 

Auf den Umstand einer etwaigen Erziehungsfähigkeit des Vaters kommt es vorliegend nicht an. Das bestehende erhebliche Risiko einer körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigung des Kindes Amilia bei Herausnahme aus der Pflegefamilie kann derzeit nicht verantwortet werden.

 

Von dieser Entscheidung unberührt bleibt die Möglichkeit, dass die Umgänge der leiblichen Eltern und Großeltern mit dem Kind A. altersentsprechend ausgeweitet werden können und müssen.

 

Hier muss aber zunächst eine Normalität zwischen den Pflegeeltern einerseits und der Herkunftsfamilie andererseits geschaffen werden, da jede Störung bzw. jeder Konflikt zwischen diesen Personen eine Störung der Entwicklung des Kindes bedeuten könnte.