Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde – Verbleib eines Pflegekindes

| Gerichtsurteil, Rechte des Pflegekindes und der Pflegeeltern

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Pflegekinder sind selten. Ganz unabhängig davon, dass sowieso nur zwei Prozent aller Verfassungsbeschwerden entschieden und schriftlich begründet werden, kommt bei Pflegekindern hinzu, dass es oft keinen „Kläger" gibt.

 

Die Pflegeeltern kämpfen für ihre eigenen Rechte – für die des (Pflege-) Kindes muss zunächst ein Ergänzungspfleger bestellt werden oder der Verfahrensbeistand wird aktiv. Alles Gründe, warum in so wenigen Fällen der Herausnahme von Pflegekindern aus ihrer Pflegefamilie, obwohl es genügend haarsträubend verfassungswidrige Vorgehensweisen von Amtsgerichten und Jugendämtern gibt, das Bundesverfassungsgericht angerufen wird.

 

Hier nun eine Ausnahme. Eine junge Rechtsanwältin aus Frankfurt hat sich hingesetzt und geschrieben. Herausgekommen sind zwar keine materiell tiefgreifenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Rechten von Pflegekindern. Hier ging es ja zunächst „nur" um die Frage der Herausnahme zur Unzeit. Aber das Bundesverfassungsgericht hat noch einmal sehr deutlich gemacht, dass auch Pflegekinder Rechte haben und geschützt werden müssen. Und dass ihr Verbleib in der Pflegefamilie einen hohen Stellenwert im Leben des Kindes hat. Mithin die „Leiblichkeit" nicht alle kindlichen Bedürfnisse nach Sicherheit, Geborgenheit und Kontinuität verdrängt. Zudem hat es die Möglichkeiten des Verfahrensbeistandes, selbst für das Kind Verfassungsbeschwerde zu erheben, erheblich gestärkt.

 

Mit Beschluss vom 03.02.2017 - Aktenzeichen 1 BvR 2569/16 hebt das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Verfahrenspflegerin eines Pflegekindes ein Urteil zur Rückführung des Kindes auf.

 

Leitsätze:

 

  • Um die Rechte des Kindes geltend zu machen, ist ein im Verfahren bestellter Verfahrensbeistand befugt, Verfassungsbeschwerde einzulegen.
  • Zur Entwicklung einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit hat das Kind Anspruch auf den Schutz des Staates. Wenn das Wohl des Kindes bei seinen Eltern nachhaltig gefährdet ist, kann das Kind auch (weiterhin) von seinen Eltern getrennt werden.
  • Wenn ein Gericht trotz nachhaltiger Kindeswohlgefährdung die Trennung des Kindes von den Eltern nicht für erforderlich hält, dann muss es nachvollziehbar begründen, warum (trotz anderer Meinung des Sachverständigen) eine Gefahr für das Kind nicht vorliegt.
  • Wird trotz Gefahr für das Wohl des Kindes eine Trennung des Kindes von seinen Eltern durch das Gericht abgelehnt, gilt hier eine strenge verfassungsgerichtliche Kontrolle.

 

In der Verfassungsbeschwerde geht es um ein Urteil des OLG Köln, welches die Rückführung eines Pflegekindes, das erst ein Jahr in einer Bereitschaftspflege und dann ein halbes Jahr in einer Dauerpflege lebte, zu seinen leiblichen Eltern anordnete. Das frühgeborene Kind war mit drei Monaten vom Jugendamt in Obhut genommen worden, da es neun Rippenbrüche und Hämatome hatte. Das Jugendamt wird Vormund des Kindes. Im Urteil werden ausführlich alle nun folgenden Schritte und Beurteilungen beschrieben. Nach etwa 1 1/2 Jahren entscheidet auf Antrag der Eltern das OLG die Rückführung des Kindes innerhalb von 6 Wochen - gegen die deutlich begründeten Meinungen des Sachverständigen, des Jugendamtes, des Vormundes und der Verfahrensbeiständin. Das OLG sieht die Eltern in der Lage, ihr Kind aufzuziehen.

 

Die Verfahrensbeiständin geht für das Kind in Beschwerde und sieht seine Grundrechte gefährdet.

 

Das Bundesverfassungsgericht hebt das Urteil des OLG auf und verweist es an das OLG zurück.

 

In seiner Begründung heißt es u.a.:

 

  • Es bestehen auch Anhaltspunkte dafür, dass eine nachhaltige Kindeswohlgefahr aus den rückführungsspezifischen Belastungen resultieren könnte, weil die leiblichen Eltern den hierdurch gesteigerten Anforderungen an die Erziehungsfähigkeit nicht gerecht werden könnten. Insoweit hat es das Gericht bereits an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung fehlen lassen.
  • Das Oberlandesgericht hat sich nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob und in welchem Maße zu den jetzigen Pflegeeltern Bindungen entstanden sind und eine abermalige Herausnahme aus dem sozialen Umfeld eine nicht hinnehmbare Schädigung des Kindes nach sich ziehen kann.
  • Schließlich hat das Oberlandesgericht für die Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt lediglich eine Befristung von sechs Wochen vorgesehen, ohne zu prüfen, auf welche Weise der Wechsel des Kindes so vorbereitet werden könnte, dass er das betroffene Kind von seinen bisherigen Bezugspersonen nicht zu abrupt und ohne einen Aufbau von Beziehungen zu seinen Eltern trennt.
  • Mögliche aus der Rückführung erwachsende weitere Belastungen für das ohnehin schon erheblich vorbelastete Kind sind nicht näher untersucht worden. Die Gründe des angegriffenen Beschlusses lassen demgemäß auch nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht der Frage nachgegangen ist, ob die leiblichen Eltern in der Lage sind, die mit der Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie verbundenen nachteiligen Folgen so gering wie möglich zu halten.
  • Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, die - in der Entscheidung nicht näher spezifizierte - Gefährdung für das Kind in elterlicher Obhut könne durch öffentliche Hilfen abgewendet werden, ist angesichts des Ausmaßes der hier in Rede stehenden Gefahren nicht ausreichend begründet.