Akteneinsicht und Datenschutz
Viele Sorge- oder Umgangsverfahren laufen an den Pflegeeltern vorbei. Obwohl das Kind seit Jahren bei ihnen lebt und dort dauerhaft bleiben wird, diskutieren andere Erwachsene (leibliche Eltern, Jugendamt, Verfahrensbeistand, Sachverständiger, Gericht) über Sorge, Umgang, Leben, Schicksal und Zukunft des Kindes. Und die (Pflege-) Eltern sind nicht dabei. Deswegen räumt der Gesetzgeber ihnen ein Beteiligung- und ein davon umfasstes Akteneinsichtsrecht ein. Da es eigentlich immer im Interesse des Kindes ist, dass seine sozialen Eltern mit am Gerichtstisch sitzen, haben die meisten Gerichte auch kein Problem damit, die Pflegeeltern vollständig zu integrieren und ihnen vor allem die komplette Akte zu übersenden. Nur eben manchmal nicht. So wie hier das OLG Oldenburg. Begründung: Im Sorgerechtsverfahren wurde der Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie besprochen – was wollen die Pflegeeltern dann noch beteiligt werden, mehr als das hätten sie sowieso nicht erreichen können. Und außerdem hätten sie zwar ein schutzwürdiges Interesse daran, den Akteninhalt zu erfahren. Dagegen steht aber der Datenschutz der Eltern. Diese hätten schließlich ein Recht auf den Schutz ihrer Intimsphäre. Und schließlich obliegt es ja dem Jugendamt, auf das Kind aufzupassen. Darauf sollten sich die Pflegeeltern ruhig verlassen. Naja.
Oberlandesgericht Oldenburg. Beschluss. 14 UF 101/16
Die Beschwerde der Beteiligten zu 7. und 8. gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nordenham vom 27. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
Tatbestand. Die Beteiligten zu 7. und 8. sind die Pflegeeltern des 18 Monate alten C.. Das Kind kam als Frühchen auf die Welt und verbrachte die Zeit bis zum Wechsel in den Haushalt der Pflegeeltern am 7. Dezember 2015 im Krankenhaus. Die Pflegeeltern begehren Einsicht in die Akten des Verfahrens betreffend die elterliche Sorge für die drei beteiligten Kinder, an dem sie durch das Familiengericht nicht beteiligt worden sind. Diesem Verfahren vorausgegangen war ein einstweiliges Anordnungsverfahren, in dem am 25. November eine mündliche Anhörung stattgefunden hat. Im Anschluss an diese leitete das Familiengericht das hier vorliegende Hauptsacheverfahren ein. Mit Beschlüssen vom 3. Dezember 2015 bestellte es zum einen den Kindern einen Verfahrensbeistand und beauftragte zum anderen einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachten zu Erziehungsfähigkeit der Eltern. Das Verfahren endete mit Beschluss vom 4. März 2016, mit dem den Eltern wesentliche Teile des Sorgerechts für das Kind C. u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht, entzogen wurde. Das Amtsgericht hat den mit Schriftsatz vom 8. Juni 2016 gestellten Antrag der Pflegeeltern auf Akteneinsicht mit Beschluss vom 27.Oktober 2016 zurückgewiesen. Ein Akteneinsichtsgericht stehe ihnen weder nach § 13 Abs. 1 FamFG, noch gemäß § 13 Abs. 2 FamFG zu. Sie seien weder am Verfahren beteiligt gewesen, noch hätten sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht. Zudem stünden der begehrten Akteneinsicht die schutzwürdigen Interessen der Eltern entgegen. Dagegen wenden sich die Pflegeeltern mit ihrer Beschwerde. Sie sind der Auffassung, ihnen sei Akteneinsicht schon deshalb zu gewähren, weil das Amtsgericht sie zu Unrecht nicht am Verfahren beteiligt habe. Aus diesem Recht auf Beteiligung an dem Verfahren ergebe sich auch ihr berechtigtes Interesse. Die Aktenkenntnis sei zwingend erforderlich, um die ihnen nach dem SGB VIII obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Zudem sei von ihnen die Zusammenarbeit mit den Eltern des Kindes zu gestalten, so dass sie auch Kenntnis davon haben müssten, ob auf eine baldige Rückführung des Kindes hingearbeitet werden solle. Das Gericht hätte zudem darlegen müssen, welche konkreten persönlichen Daten der Eltern in den Akten enthalten sind und aus welchen Gründen diese den Pflegeeltern nicht bekannt gegeben werden sollen. Insoweit hätte das Gericht auch einzelne Seiten von der Akteneinsicht ausnehmen können.
Entscheidung. Die Beschwerde nach §§ 58 ff FamFG ist statthaft und zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Zutreffend hat das Amtsgericht ein Akteneinsichtsrecht der Pflegeeltern sowohl nach § 13 Abs. 1 FamFG, als auch nach § 13 Abs.2 FamFG verneint.
Das Amtsgericht hat ermessensfehlerfrei die Pflegeeltern nicht am Verfahren beteiligt. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob demjenigen der zu Unrecht nicht an dem Verfahren beteiligt worden ist, nach Abschluss des Verfahrens ein Akteneinsichtsrecht nach § 13 Abs.1 FamFG zusteht. Gemäß §§ 7 Abs. 3, 161 Abs. 1 FamFG kann das Gericht von Amts wegen im Interesse des Kindes Pflegepersonen am Verfahren beteiligen, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt. Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts und hat sich an den Interessen des Kindes auszurichten. Die Pflegepersonen sollten daher immer dann am Verfahren beteiligt werden, wenn ihre Hinzuziehung dem Wohl des Kindes dienen kann. Das dürfte regelmäßig dann der Fall sein, wenn die Pflegepersonen aufgrund des seit längerem bestehenden Pflegeverhältnisses das Kind am besten kennen und dementsprechend am ehesten dazu berufen sein dürften, sich unter Berücksichtigung der bisherigen Entwicklung des Kindes in das Verfahren einzubringen und die Interessen des Kindes zur Geltung zu bringen. Unter Berücksichtigung dessen erweist sich die Entscheidung des Amtsgerichts, die Pflegeeltern nicht an dem Verfahren zu beteiligen, nicht als ermessensfehlerhaft.
Zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens und Versendung der Akten an den Sachverständigen lebte das Kind noch nicht im Haushalt der Pflegeeltern. Die Sachverständige kam in dem Antrag Januar 2016 vorgelegten Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Rückführung des Kindes C. in den elterlichen Haushalt mit dem Wohl des Kindes nicht zu vereinbaren sei. Vorbehaltlich einer beantragten Anhörung der Sachverständigen und einer weiteren Anhörung der Beteiligten war daher vorläufig nicht von einer Rückführung des Kindes in den Haushalt der Eltern auszugehen. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass eine Beteiligung der Pflegeeltern dem Interesse des Kindes hätte dienen können. Die erhöhten Anforderungen an die Pflege des Kindes sind vom Jugendamt hervorgehoben worden und konnten in dem Verfahren berücksichtigt werden. In Anbetracht des Alters des Kindes und des Umstands, dass es zu keiner Zeit im Haushalt der Eltern gelebt hat, ist nicht ersichtlich, welche Angaben der Pflegeeltern im Interesse des Kindes erforderlich gewesen sein könnten.
Die Pflegeeltern haben auch nicht gemäß § 13 Abs. 2 FamFG einen Anspruch auf Akteneinsicht. Entgegen der Ansicht des Familiengerichts haben die Pflegeeltern ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis des Akteninhalts glaubhaft gemacht. Dieses Interesse muss sich nicht auf den Verfahrensgegenstand beschränken, sondern kann auch über diesen hinausgehen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass sie als Pflegeeltern eine Prognose anstellen möchten, ob eine Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt in Betracht kommen kann. Diesem Interesse der Pflegeeltern stehen indes, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, die schutzwürdigen Interessen der beteiligten Eltern gegenüber. Dem Anspruch auf Akteneinsicht durch Dritte steht grundsätzlich das Recht der Verfahrensbeteiligten auf informationelle Selbstbestimmung als Bestandteil des in Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrechts gegenüber. Es gewährleistet die Befugnis jedes einzelnen, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmten. Insofern ist das Gericht auch nicht gehalten, die einzelnen persönlichen Daten konkret zu bezeichnen, weil das dem verfolgten Schutzzweck zuwiderliefe. Letztlich ist eine Sachverständlichkeit, dass die Erziehungsfähigkeit von Eltern anhand ihrer Persönlichkeit, ihrer derzeitigen Lebenssituation und ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten beurteilt wird und diese Informationen daher den Kern des nach Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrechts der Eltern berühren. Diesem Rechtsgedanken folgend hat der Gesetzgeber in § 170 Abs. 1 Satz 1 GVG angeordnet, dass Verhandlungen, Erörterungen und Anhörungen in Familiensachen nicht öffentlich sind. Diese Interessen der Eltern am Schutz ihrer Privatsphäre wiegen hier höher. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass das Jugendamt des Landkreises Wesermarsch Inhaber der entzogenen Teile der elterlichen Sorge für C. ist. Ihm obliegen daher gemäß § 56 SGB VIII iVm mit den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs die maßgeblichen Entscheidungen über Umfang und Ausgestaltung der Umgangskontakte des Kindes mit seinen leiblichen Eltern sowie über die Frage einer eventuellen Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt. Insofern haben die Pflegeeltern nur einen sehr eingeschränkten eigenen Entscheidungsspielraum und haben sich insofern an die Weisungen des Vormunds zu halten. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Eltern erscheint vor dem Hintergrund des fehlenden Entscheidungsspielraums der Pflegeeltern nicht gerechtfertigt.