Stärke statt Macht. Die Idee von Haim Omer.

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Aus dem Achimer Kurier vom 27.5.16

 

Braucht es heute noch Autorität in der Erziehung? Und, wenn ja, in welcher Form? Die Erschütterung der erzieherischen Autorität gilt als eine der Hauptursachen für den dramatischen Anstieg von Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Hier setzte der Diplom-Psychologe Matthias Richter mit dem Begriff der "Neuen Autorität" an, den Prof. Dr. phil. Haim Omer, Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv, prägte.

 

Dabei handelt es sich um ein für Familie, Schule und Gemeinde gleichermaßen anwendbares pädagogisches Konzept, das auf Anerkennung, Respekt und echter Stärke begründet ist. Eltern, Lehrer und Betreuer können in vielen Fällen deeskalierend einwirken, müssen nicht immer sofort reagieren und ihr Gesicht verlieren, wenn sie eine Nacht über ihre Entscheidungen schlafen. "Nur Mächtige reagieren sofort, beständig Besonnene reagieren später."

 

Um der elterlichen Hilflosigkeit angesichts der Dominanz der Kinder entgegen zu wirken, könne das Konzept der "Präsenz und wachsamen Sorge" hilfreich sein. Furcht und Distanz sollten durch Präsenz und Beziehung, Kontrolle durch Selbstkontrolle, Hierarchie durch Gemeinschaft, Vergeltung und Strafe durch Eskalationsvorbeugung, Immunität vor Kritik durch Transparenz und Dringlichkeit durch Beharrlichkeit ersetzt werden.

 

Das bedeutet in der Praxis: Eltern müssten nicht per se ihren Willen durchsetzen. Besser wäre es, Verständnis zu wecken. Kinder müssten sich nicht immer unterordnen, sondern durch die Verbindung zu anderen eine gemeinsame Einsicht entwickeln. Macht auszuspielen, um nicht das Gesicht zu verlieren, fördere Eskalationen. Lieber solle man bei kritischen Auseinandersetzungen sein Tun begründen. Eine schnelle Reaktion könne durch das Einhalten vorab getroffener Regeln vermieden werden. Eine klare Entscheidung, als Eltern, Lehrer oder Betreuer, präsent zu sein und die Bereitschaft, gewaltlosen Widerstand gegen bestimmtes Verhalten zu leisten, entspricht den Ansätzen der "Neuen Autorität". Denn Kinder, sagt Omer, erwarteten eine Autorität, die schützend und richtungsweisend ist.