Erziehungsbeitrag ist kein Einkommen
Immer wieder, in allen möglichen Konstellationen, stellt sich die Frage, ob der Erziehungsanteil im Pflegegeld nach dem SGB VIII (Pflegekinder) als Einkommen angerechnet werden darf oder nicht. Während die Frage bei der Berechnung von Prozesskostenhilfe oder Hartz 4 so ziemlich geklärt ist (es darf nicht angerechnet werden), ist die Frage, ob dieser Anteil auch bei der Berechnung des Krankenkassenbeitrags anzurechnen ist, bisher noch nicht abschließend geklärt. Die Gerichte urteilen hier unterschiedlich.
Das Landessozialgericht aus Berlin-Brandenburg hat sich nun sehr deutlich auf die Seite der Pflegeeltern gestellt: Der Erziehungsanteil sei nicht anzurechnen. Er diene nicht dazu, den allgemeinen Lebensstandard zu verbessern und sei im Zweifel sowieso nicht ausreichend, um alle Belastungen und Sonderbedarfe der meisten Pflegekinder zu befriedigen. Da andere Landessozialgerichte anders geurteilt haben, ist die Revision zugelassen. Schauen wir mal.
Begründung: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 1 KR 140/14 vom 11.03.2016. (Auszüge)
Tatbestand: Die Krankenkasse hatte bei der Berechnung der Höhe des Beitrags eines selbständigen Pflegeelternpaares den Erziehungsbeitrag im Pflegegeld mit angerechnet. Dagegen richtete sich die Klage.
Entscheidungsgründe: Die angefochtenen Bescheide sind teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Insbesondere durfte das vom Jugendamt gezahlte Erziehungsgeld nicht als Einnahme der Klägerin berücksichtigt werden.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist das an die Klägerin gezahlte Erziehungsgeld nicht als beitragspflichtige Einnahme zu berücksichtigen. Nach § 3 Abs. 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung für die Beitragsbemessung heranzuziehen. Eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen findet nicht statt.
Danach kommt es für die Beitragspflicht nicht darauf an, ob die in Frage stehende Leistung mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen vergleichbar ist und auch nicht darauf, ob mit ihr weitere Zwecke verfolgt werden. Voraussetzung für die Beitragspflicht ist aber, dass die Mittel für die Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen. Dafür reicht nicht aus, dass eine Geldleistung tatsächlich auch zur Finanzierung des Lebensunterhaltes verwandt werden kann. Das ist nämlich bei allen Geldleistungen der Fall.
Zu unterscheiden ist zwischen Leistungen, die zumindest auch dem allgemeinen Lebensbedarf zu dienen bestimmt sind und solchen, bei denen das nicht der Fall ist. Letztere sind für die Beitragsbemessung nicht heranzuziehen. Die Abgrenzung erfordert eine wertende Entscheidung über das Bestehen einer besonderen Zweckbestimmung von öffentlichen Leistungen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die in Frage stehende Leistung die allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Zahlungsempfängers günstig beeinflusst.
Der Senat ist der Überzeugung, dass die der Klägerin vom Jugendamt gewährten Leistungen nicht zur Finanzierung ihres allgemeinen Lebensbedarfes bestimmt sind. Sie haben auch nicht den Nebenzweck, ihre allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verbessern. Rechtsgrundlage für die Leistungen ist § 29 SGB VIII iVm den dazu ergangenen Ausführungsvorschriften. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die Leistungen die Kosten der Erziehung abdecken sollen. Nach der Konzeption des Gesetzes ist Leistungsberechtigter das Kind bzw. dessen Personensorgeberechtigter, nicht aber die Pflegeperson.
Das spricht dagegen, dass diese Leistungen den Zweck haben, das Einkommen der Pflegeperson zu mehren. Nach den Gesetzesmaterialien soll mit diesen Leistungen ein Anreiz gesetzt werden, um die Bereitschaft zur Betreuung zur Pflegekinder zu stärken (BR-Drucks 503/89, S. 73). Danach ist die Anreizfunktion der eigentliche Zweck der Leistung und nicht die Sicherung des Lebensunterhaltes. Ein dadurch bewirkter finanzieller Vorteil bei der Pflegeperson ist bloße Nebenfolge.
Dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck würde es widersprechen, wenn der Anreiz gerade für freiwillig Versicherte dadurch gemindert wird, dass eine Berücksichtigung als Einnahme bei der Beitragsbemessung erfolgt. Im Übrigen ist das Erziehungsgeld auch im Rahmen des SGB II und des SGB XII von der Berücksichtigung als Einnahmen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. Ersteres gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden. Deswegen spricht der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung dafür, von einer Anrechnung auch im Rahmen der beitragspflichtigen Einnahmen abzusehen.
Die gegenteiligen Argumente des Sozialgerichts sowie des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (Urt. v. 15. Dezember 2011 –und des Hessischen Landessozialgerichts (Urt. v. 22. August 2013 – überzeugen den Senat nicht. Zunächst geht es nicht an, die vorhandene Rechtsprechung des BSG zur Einordnung des Erziehungsgeldes als nicht der Lebensführung der Pflegeperson dienende Leistung mit dem Hinweis weg zu wischen, dass das BSG zur Frage des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II entschieden habe und nicht zur Bemessung von Beiträgen nach § 240 SGB V.
Entscheidungserheblich ist in beiden Konstellationen dieselbe Sachfrage, ob die Leistungen nach § 39 SGB VIII dem Zweck dienen, die allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Pflegeperson günstig zu beeinflussen. Die Zweckbestimmung der Leistungen nach dem SGB VIII kann sich nicht danach unterscheiden, ob ihre Anrechnung auf den Bedarf nach dem SGB II oder die Höhe von Beiträgen zur Krankenversicherung in Frage steht. Auch das Argument, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Betreuung eines Pflegekindes bereits durch die Sachpauschale abgedeckt seien, so dass das zusätzlich gezahlte Erziehungsgeld der Pflegeperson zum Verbrauch zur Verfügung stehe, überzeugt nicht.
Abgesehen davon, dass der Senat es für fraglich hält, ob die Sachpauschale ausreicht, um alle im Rahmen der Unterbringung, Betreuung und Erziehung eines Kindes anfallenden Aufwendungen zu decken, kommt es nicht auf die tatsächliche Verwendung des Geldes, sondern auf die von dem Gesetzgeber mit der Leistung verfolgte Zweckbestimmung an. Den Vorschriften ist aber – wie bereits erwähnt – gerade nicht zu entnehmen, dass Zweck der Zahlung des Erziehungsgeldes die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Pflegeperson ist.
Der Senat hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.