Pflegeeltern als Vormund
Wenn leiblichen Eltern die elterliche Sorge entzogen wurde, wird für die Betreuung und Versorgung des Kindes ein Vormund bestellt. Entweder als Vormund für die gesamte elterliche Sorge oder als Pfleger für einzelne entzogene Teilbereiche (Gesundheit, Aufenthalt oder Schule). Dafür wird in der Regel das Jugendamt als Amtsvormund oder Amtspfleger ausgesucht.
Der Gesetzgeber sieht aber einen Vorrang von Einzelpersonen als Vormund oder Pfleger vor. Darum können Pflegeeltern entweder sofort oder nach einer Weile beim Amtsgericht, das für den Lebensmittelpunkt des Kindes zuständig ist, die Übertragung der Vormundschaft oder Pflegschaft auf sich selbst beantragen. Der dafür zuständige Rechtspfleger (nicht der Richter) prüft die Geeignetheit der Pflegeeltern und überträgt diesen dann im Zweifel das Recht, für das Kind (rechtlich) zu sorgen. Gegen die (ablehnende) Entscheidung des Rechtspflegers kann von den Pflegeeltern „Erinnerung" eingelegt werden. Dann prüft der zuständige Familienrichter abermals, ob nicht doch eine Übertragung anzuordnen ist. Eine Beschwerde dagegen beim Oberlandesgericht können dann aber nur Jugendamt, leibliche Eltern und das Kind ab einem Alter von 14 Jahren einreichen. Die Pflegeeltern (leider) nicht.
Da Jugendämter, leibliche Eltern und Rechtspfleger oftmals Probleme mit der Vorstellung haben, dass ihnen die Pflegeeltern als rechtlich befugte Vormünder oder Pfleger gegenüber sitzen, müssen sich Gerichte immer wieder mit der Frage beschäftigen, ob diese geeignet sind und ob ihnen die Vormundschaft oder Pflegschaft übertragen werden muss. An dieser Frage scheiden sich viele Geister. Den Pflegeeltern wird die Fähigkeit abgesprochen, in der „Doppelrolle" als Eltern und Vormund/Pfleger immer die richtigen Entscheidungen zum Wohl des Kindes zu treffen. Wird beispielsweise die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie diskutiert, wird befürchtet, dass Pflegeeltern am Kind „klammern", statt das Richtige für das „fremde" Kind zu entscheiden. Oder es wird ihnen vorgeworfen, den Kontakt des Kindes zu den leiblichen Eltern nicht kindeswohlorientiert zu unterstützen.
Inzwischen hat sich bei den Gerichten die Erkenntnis durchgesetzt, dass es für ein Kind in der Regel am besten ist (Sicherheit, Kontinuität, Verlässlichkeit) wenn die tatsächlich verantwortlichen (Pflege-) Eltern auch rechtlich verantwortlich sind. Eine solche Einheit der Verantwortlichkeit verhindert Verwirrung beim Kind und gibt ihm Sicherheit und Geborgenheit. Dennoch sind entsprechende Verfahren keine Selbstläufer. Das OLG Nürnberg hat sich in einem Beschluss aus dem Jahr 2012 sehr klar zu Gunsten von Pflegeeltern als Vormund positioniert. Es lohnt sich, diese Entscheidung zu kennen, wenn man Gericht, Jugendamt oder leibliche Eltern überzeugen will oder muss.
OLG Nürnberg, Beschluss vom 7. März 2012 · Az. 11 WF 195/12.
(...) Die Entlassung des Amtsvormundes und die Bestellung der Pflegeeltern K. als geeignete Einzelvormünder dient dem Kindeswohl.
Das Jugendamt ist am 3.1.2007 nur deshalb als Amtsvormund bestellt worden, weil damals eine als ehrenamtlicher Vormund geeignete Person nicht vorhanden war (...) Gemäß § 1887 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht das Jugendamt als Vormund zu entlassen, wenn dies dem Wohl des Mündels dient und eine andere als Vormund geeignete Person vorhanden ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Entscheidung des Gerichts zur Entlassung des Amtsvormunds zwingend. Ein Ermessen besteht nicht.
Eine vorrangige Bestellung des Jugendamts als Vormund sehen die gesetzlichen Vorschriften nicht vor, wie sich auch aus § 56 Abs. 4 SGB VIII ergibt, wonach das Jugendamt in der Regel jährlich zu prüfen hat, ob seine Entlassung und die Bestellung einer Einzelperson oder eines Vereins im Interesse des Kindes angezeigt ist (...) Vielmehr hat die Bestellung geeigneter Einzelvormünder grundsätzlich Vorrang vor einer Amtsvormundschaft, da die Einzelvormünder dem Wohl des Kindes im Allgemeinen besser und individueller dienen können als ein Amtsvormund. Denn eine Vormundschaft erfüllt ihren Sinn dann am besten, wenn das Kind erlebt, dass die Person, die es täglich erzieht, auch rechtlich zu dieser Erziehung befugt ist. Stabilität und Verlässlichkeit können ihm vermittelt werden, wenn seine "sozialen Eltern" künftig auch in der Lage sind, die erzieherischen Entscheidungen eigenständig zu treffen (...)
Vorliegend sind sämtliche Voraussetzungen für die Übertragung der Vormundschaft auf die Pflegeeltern gegeben.
Die Eignung des Ehepaars K., die an den in § 1779 Abs. 2 BGB genannten Kriterien zu messen ist, wie etwa Charakter, Kenntnisse und Erfahrungen sowie persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse (Gesundheit, berufliche oder familiäre Belastungen usw.) (...) stellt das Beschwerde führende Jugendamt nicht in Frage, wie sich aus der Stellungnahme vom 2.12.2011 ergibt. Danach sind Herr und Frau K. als Pflegeeltern "unbestritten engagiert und tun viel für die Entwicklung des Kindes". Der Amtsvormund teilte mit Schreiben vom 24.5.2011, dass L. "durch das Wirken der Pflegeeltern große Fortschritte gemacht hat".
Die Entlassung des Amtsvormundes und die Bestellung der Pflegeeltern zu Einzelvormündern dient dem Wohl des betroffenen Kindes. Die mit der Übertragung der Vormundschaft einhergehende größere rechtliche Verbundenheit der Pflegeeltern zu den Kindern und die dadurch erhöhte Sicherheit, dass die Verbindung aufrechterhalten bleibt, spricht ganz entscheidend für eine Übertragung der Vormundschaft auf die Pflegeeltern. Es ist für die Betroffenen von erzieherischem Vorteil, wenn sie erleben, dass die emotionale Bezugsperson auch rechtliche Befugnisse hat (). L. lebt bereits seit fast 5 ½ Jahren in Vollzeitpflege bei "ihren sozialen Eltern", die nicht nur über angesehene Berufe und gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse verfügen, sondern ein kindgerechtes Umfeld bieten können (Bericht vom 5.7.2010). Leonie ist fest im Familienverband der Pflegefamilie verankert und hat dort ihren Lebensmittelpunkt (Schreiben des Jugendamts vom 27.2.2012). Nach Auffassung des Senats entspricht es dem Kindeswohl, wenn die Pflegeeltern bei dieser Sachlage auch die rechtliche Verantwortung für L. übernehmen.
Die eingangs geschilderten Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Frühförderung des Kindes stellen als Einzelaspekt bei einer Gesamtbetrachtung der bereits erfolgten Integration des Kindes in die Pflegefamilie und der bisher gezeigten Förderkompetenz der Pflegeeltern das Kindeswohl als solches generell nicht in Frage. Auch die Pflegeeltern wollen aus ihrer Sicht für das Kind "das Beste". Die durch das Jugendamt vorgebrachten Probleme mit der Zusammenarbeit betreffen indes das Verhältnis der Beteiligten selbst.
Was die vom Jugendamt kritisierte "Haltung der Pflegeeltern der leiblichen Mutter gegenüber" anbelangt, weist selbst der Jugendamtsbericht vom 5.7.2010 darauf hin, dass die Mutter bisher als verlässliche Bezugsperson für ihre Tochter nicht in Erscheinung getreten ist. L. habe keine persönliche Beziehung oder Bindung zur Mutter. Die Mutter könne sich wenig in die Lebenssituation und Bedürfnislage des Kindes einfühlen und habe sich nicht einmal an den Entzug ihres Sorgerechts erinnern können. Der Senat geht davon aus, dass die Pflegeeltern trotz dieser Umstände den Kontakt zur leiblichen Mutter wie in der Vergangenheit aufrechterhalten. Hierzu können sie die Beratung und Unterstützung des Jugendamts in Anspruch nehmen (...)
Die beteiligten Pflegeeltern stehen als ehrenamtliche Vormünder weiterhin unter der Überwachung des Jugendamts und des Familiengerichts, so dass die weitere Entwicklung von L. überwacht werden kann.