Vollzeitpflege und Antragsberechtigung
Folgender Fall: Die leibliche Mutter ist 17 Jahre alt. Wohnt noch bei ihrer Mutter und dem Stiefvater. Als das Kind geboren wird, kommt sie nicht mehr klar. Absturz, Auszug, Obdachlosigkeit, psychische Krise. Schließlich kommt sie bei ihrem Freund in dessen Wohnwagen am Baggersee unter. Das Kind bleibt während der ganzen Zeit bei der Großmutter. Mit Unterstützung des Jugendamtes. Als vorübergehende Lösung. Wenn die Frage der elterlichen Sorge gerichtlich geklärt sei, solle das Kind in eine Pflegefamilie wechseln. Das Kind bekommt einen Vormund. Was bei minderjährigen Müttern im Gesetz so vorgeschrieben ist. Die Großmutter, anwaltlich beraten, stellt beim Jugendamt einen Antrag auf Einrichtung einer Vollzeitpflegestelle. Schließlich betreue sie das Kind rund um die Uhr, sei quasi die Mutter und bekomme außer dem Kindergeld keinerlei finanzielle Unterstützung. Sie selbst lebt von Hartz 4 und kann sich die ganze Sache nur mit Unterstützung des Stiefvaters leisten. Das Jugendamt lehnt ab. Vollzeitpflege gebe es bei Großmüttern nicht. Außerdem solle das Kind sowieso langfristig woanders untergebracht werden.
Dann wird die leibliche Mutter volljährig. Ab Volljährigkeit muss der Antrag auf Einrichtung einer Vollzeitpflegestelle erneut gestellt werden. Dann wird nicht mehr nach § 27, 33 SGB VIII, sondern nach § 41 in Verbindung mit § 27, 33 SGB VIII. Hilfe für junge Volljährige. Denn, was viele, vor allem Jugendämter gerne übersehen ist, dass der Anspruch auf Einrichtung einer Vollzeitpflegestelle den leiblichen Eltern zusteht. Es ist eine „Erziehungshilfe". Den erziehungsunfähigen leiblichen und sorgeberechtigten Eltern wird dadurch geholfen, dass das Kind woanders untergebracht, betreut und versorgt wird. Antragsberechtigt in unseren Fall ist daher (nur) die alleinsorgeberechtigte leibliche Mutter. Nicht die Großmutter. Das ging zwar noch, als die leibliche Mutter minderjährig war. Der Antrag war auszulegen als Antrag in Vertretung der minderjährigen Mutter durch die sorgeberechtigte (Groß-) Mutter. Jetzt, ab Volljährigkeit muss die leibliche Mutter den Antrag aber selbst stellen.
Dazu war die leibliche Mutter aber gar nicht in der Lage. Sie hatte mit sich, ihrer Situation und der Trauer über den „Verlust" des Kindes genug zu tun. Kein Problem, sagt der Richter. Dann bevollmächtigt die leibliche Mutter eben die Großmutter, einen solchen Antrag beim Jugendamt zu stellen und auch durchzusetzen. Wozu die leibliche Mutter nach einigem Zureden auch bereit war. Nur leider nützt dieser Weg gar nichts. Der Antrag auf Einrichtung einer Vollzeitpflegestelle kann nämlich nicht mittels Vollmacht gestellt werden. Er gilt nur, wenn er vom echten Rechtsinhaber, hier der leiblichen Mutter selbst gestellt wird. Was geht, wäre eine echte und rechtsgültige „Abtretung".
Lösung: Der leiblichen Mutter wird das Recht auf die Stellung von Anträgen entzogen und auf einen Pfleger, möglichst die Großmutter übertragen. Ein Weg, der juristisch ebenfalls problematisch ist. Denn das Familiengericht kann nur die elterliche Sorge entziehen. Als alle Rechte, die die Sorgerechtsinhaber für das Kind geltend machen können. Der Antrag nach §§ 27, 33 SGB VII ist aber ein eigener Antrag, keiner, der für das Kind gestellt wird. Obwohl fast alle Familiengerichte diesen Weg gehen, wenn es darauf ankommt. Also käme eigentlich (nur) die Bestellung eines Betreuers für diesen Aufgabenbereich in Betracht. Dann wäre wieder ein anderes Gericht und ein anderer Richter zuständig. Schwierig.
Am Besten, und so wurde es dann auch hier gemacht, bevollmächtigt die leibliche Mutter den Anwalt der Großmutter direkt. Die Großmutter übernimmt alle Kosten und der Anwalt kann loslegen. Dazu gehört natürlich ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den Beteiligten. Das war hier vorhanden. Zum Glück.