Verbleibensanordnung – Vorrausetzungen und Gefährdung des Kindeswohls
Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht gemäß § 1632 Abs. 4 BGB von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.
Der Zeitbegriff ist nicht absolut, sondern kinderpsychologisch zu verstehen und muss sich am kindlichen Zeitbefinden, insbesondere der Erlebnisverarbeitung von Kindern, orientieren. Maßgeblich ist insoweit, ob das Kind in der Pflegezeit seine Bezugswelt in der Pflegefamilie gefunden hat.
Es ist letztlich entscheidend die Frage aufzuklären, ob und wie lange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet wäre.
Die Entscheidung dieser Frage ist von besonderer verfassungsrechtlicher Brisanz. Bei einem Rückführungsverlangen der leiblichen Eltern eines Kindes besteht ein Konflikt des elterlichen Grundrechts aus Art. 6 II S. 1 GG auf Pflege und Erziehung des Kindes mit den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechten von Pflegeeltern aus Art. 6 II GG. Schließlich ist in dieser Grundrechtskollission auch das Grundrecht des Pflegekindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 I, 1 I, 2 II GG) tangiert. Schließlich bedarf das Kind als ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Persönlichkeitsrecht gerade im Rahmen eines Pflegekindverhältnisses des besonderen Schutzes im Rahmen des staatlichen Wächterauftrages nach Art. 6 II S. 2 und III GG, wie dies auch Art. 20 I der UN-Konvention über die Rechte des Kindes gebietet. Damit ist auch im Rahmen von Verbleibensanordnungen nach § 1632 IV BGB das Kindeswohl die oberste Richtschnur der Entscheidung, sodass es in diesem Zusammenhang auch nicht entscheidend darauf ankommt, dass dem Elternrecht generell gegenüber dem Recht der Pflegeeltern der Vorrang zukommt. Geht es um die Frage der Rückführung des Pflegekindes zu seinen Eltern, so genügt für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls nicht allein das Bestehen einer sozialen Eltern-Kind-Beziehung zwischen Kind und Pflegepersonen. Wegen der besonderen Bedeutung von Art. 6 II S. 1 GG sollen nämlich Pflegeverhältnisse grundsätzlich nicht in einer Weise verfestigt werden, dass die leiblichen Eltern mit der Wegnahme des Kindes in nahezu allen Fällen den dauerhaften Verlust des Kindes befürchten müssen.
Unter dem demnach bestehenden strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist entscheidend, ob die mit der von den Eltern verlangten Rückführung einhergehende Änderung des Lebensumfeldes des Kindes bei diesem zu erheblichen Schäden, insbesondere im seelischen Bereich, führen kann, nicht aber, ob die beabsichtigte Herausnahme aus dem Pflegeverhältnis solche Schäden voraussichtlich mit ziemlicher Sicherheit mit sich bringt. Maßgeblich ist daher mithin, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen sein darf, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern zu psychischen oder physischen Schädigungen bei dem Kind führen kann, wobei eine Restmöglichkeit, dass solche Störungen nicht eintreten, außer Acht zu bleiben hat. Denn in einem solchen Fall ist es dem Kind nicht zumutbar, dass seine Trennung von den Pflegeeltern bei ihm zu psychischen und physischen Schädigungen führt.