Umgangsrecht der Herkunftseltern

| Gerichtsurteil, Leibliche Eltern, Rechte des Pflegekindes und der Pflegeeltern

Das Umgangsrecht der Herkunftseltern ist wesentlicher Bestandteil des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG sowie des Rechts auf Familienleben aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Wurde ihnen die elterliche Sorge nach §§ 1666, 1666a BGB entzogen oder nicht übertragen (etwa nach § 162a Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 oder nach § 1671 Abs. 2 BGB), so gewinnt das Umgangsrecht dieser Eltern an besonderer Bedeutung, weil es dann die wesentliche Grundlage dafür ist, das Elternrecht überhaupt ausüben zu können. Es ermöglicht den Eltern sich fortlaufend persönlich von der Entwicklung des Kindes zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen und dem Liebesbedürfnis beider Seiten Rechnung zu tragen. Im Unterschied zur einfachen Trennungsfamilie ist aber, wie das BVerfG in seiner jüngsten Entscheidung zum Umgangsausschluss von Herkunftseltern mit ihrem in einer Pflegefamilie lebenden Kind herausgestellt hat, bei jeder Entscheidung über den Umgang zu berücksichtigen, dass diese auf das engste mit einer Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von seinen Eltern zusammenhängt, mit der Folge, dass die Wertungen des Art. 6 Abs. 3 GG maßgeblich auch die Entscheidung über einen Umgang beeinflussen.

 

Damit unterscheidet das BVerfG deutlich zwischen Pflege- und Scheidungskindern, soweit es um die Reichweite, vor allem den Ausschluss des Umgangsrechts geht. Für die Notwendigkeit einer solchen Trennung spricht, dass die Funktionen des Umgangs von Herkunftseltern mit ihrem in einer Pflegefamilie und dass sie von Anlass und Dauer der Trennung von der Herkunftsfamilie mitbestimmt sind.

 

Wird die Fremdplatzierung eines Kindes notwendig und erfolgt diese - wie häufig - im Rahmen einer Hilfe zur Erziehung, so war eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung in der Herkunftsfamilie nicht mehr gewährleistet (§ 27 SGB VIII). Die Inpflegenahmegründe, die oft kumulativ vorliegen, erfüllen meist die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB; oft liegt auch ein Entzug der elterlichen Sorge vor. Zur Frage, wie sich der Umgang eines solchen Kindes mit seiner Herkunftsfamilie auf das Kind auswirkt, ergibt es aus bindungstheoretischer bzw. entwicklungspsychologischer Sicht kein einheitliches Bild. Verschiedene empirische Studien zeigen, dass die fremduntergebrachten Kinder ganz unterschiedliche, auch widersprüchliche Reaktionen beim Umgang mit ihrer Herkunftsfamilie äußern. Hochbelastete Kinder äußern hochambivalente Bindungswünsche. Positiv gestaltete und regelmäßige Besuchskontakte können dem Kind eine emotionale Verbindung zur Herkunftsfamilie und zu seinen eigenen Wurzeln ermöglichen. Allerdings kann der Umgang mit den Herkunftseltern auch zu einer starken Problembelastung beim Kind führen. Gerade in Fällen von Vernachlässigung und Misshandlung kann ein Umgang mit den Herkunftseltern beim Kind pathologische Bindungsmuster als Bindungsstörung mit der Folge aktivieren, dass es zu Re-Traumatisierungen kommt. Psychologen warnen deshalb bei solchen Kindern vor dieser Gefahr durch den Umgang.

 

Zudem können die Besuchskontakte gerade bei misshandelten und vernachlässigten Kindern zur Loyalitätskonflikten dieses Kindes führen mit den daraus resultierenden Problemen bei der Integration in die Pflegefamilie. Inzwischen ist die größere Vulnerabilität der Bindungsprozesse in Pflegefamilien bei Pflegekindern mit traumatischen Erfahrungen empirisch belegt.

 

In bislang vorliegenden Studien zu Pflegekindern in Deutschland haben 10 - 20 % der Pflegekinder Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung gezeigt. Auslöser für eine verstärkte Symptomatik kann dabei der Umgang sein. Wenn aber diese Kausalität besteht, so wird eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangs mit den Herkunftseltern erforderlich.

 

Zwar kann die Belastungsstörung des Kindes in Bezug auf den Umgang auch andere Ursachen haben, wie etwa eine nicht kindgerechte Gestaltung des Umgangs oder eine unsichere Basis des Kindes bei den Pflegeeltern. Auch ein hoch belastetes Pflegekind kann gute und unproblematische Kontakte mit seinen Herkunftseltern haben. Dies setzt aber unter andrem regelmäßig voraus, dass dieses Kind in die Pflegefamilie integrier ist und dort eine dauerhafte Lebensperspektive hat.

 

Weniger problematisch erscheint aus bindungspsychologischer Sicht der Umgang von fremduntergebrachten Kindern, die bereits vor Fremdunterbringung sichere Bindungserfahrungen in der Herkunftsfamilie gemacht haben. Handelt es sich etwa um einen vorübergehenden Ausfall der Eltern, beispielsweise wegen Krankheit derselben, so kommt dem Umgang eine zentrale Bedeutung zu, um die Voraussetzungen für eine Realisierung der Rückkehroption zu schaffen und einer Entfremdung von Kind und Eltern vorzubeugen. Allerdings können auch hier die Besuchskontakte im Einzelfall zu Loyalitätskonflikten des Kindes mit der Pflegefamilie führen und die Integration in diese Familie verzögern bzw. erschweren und es kann eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangs vonnöten sein, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.