Kontinuität und Völkerrecht und Verfassungsrecht

| Leibliche Eltern, Rechte des Pflegekindes und der Pflegeeltern

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Dieses Recht steht grundsätzlich den Pflegeeltern ebenso zu wie den Herkunftseltern. Zwar hat der EuGHMR den Schutz des Familienlebens der Herkunftseltern immer mit dem Hinweis in den Vordergrund gestellt, die Inpflegegabe sei grundsätzlich als eine vorübergehende Maßnahme anzusehen, die beendet werden müsse, sobald die Umstände dies erlauben. Allerdings hat er zugleich betont, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des in Pflege gegebenen Kindes und denen der Eltern auf Zusammenführung der Familie hergestellt werden müsse; dabei komme dem Kindeswohl besondere Bedeutung zu und dieses könne je nach Art und Gewicht das Elterninteresse überwiegen. Insbesondere habe ein Elternteil, so der EuGHMR, nach Art 8 EMRK keinen Anspruch auf Maßnahmen, die der Gesundheit und Entwicklung des Kindes schaden würde. Das Kindeswohl kann also gebieten, im Einzelfall auch Maßnahmen zu ergreifen, die dem Interesse der Herkunftseltern zuwiderlaufen. Damit kann im Ergebnis auch nach der Rechtsprechung des EuGHMR "kein Zweifel" daran bestehen, dass die Pflegefamilie im Einzelfall eine dauerhafte Lebensperspektive darstellen kann, wenn eine Rückkehr zur Herkunftsfamilie nicht (mehr) in Betracht kommt.

 

Die Sicherung von Kontinuität in der Erziehung des Kindes ist auch ein wichtiges Anliegen der UN-Kinderrechtekonvention [UN-KRK]. Nach deren Art. 20 Abs. 1 hat ein Kind, das vorübergehend oder dauerhaft aus seiner familiären Umgebung herausgelöst wird oder dem der Verbleib in dieser Umgebung im eigenen Interesse nicht gestattet werden kann, Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates. Wie das deutsche Sozialrecht erkennt damit auch das Völkerrecht das dauerhafte Pflegekindschaftsverhältnis an. Nach Abs. 2 stellen die Vertragsstaaten andere Formen der Betreuung eines solchen Kindes sicher und als solche andere Betreuungsform kommt nach Abs. 3 S. 1 u.a. die Pflegefamilie in Betracht. Bei der Wahl zwischen den verschiedenen Formen der Betreuung ist nach Abs. 3 S. 2 u.a. "die erwünschte Kontinuität in er Erziehung des Kindes" zu berücksichtigen. Hieraus ergibt sich die objektive Verpflichtung für die Vertragsstaaten dieses völkerrechtlichen Vertrags, seinen Inhalt zu beachten und im Wege weiterer Normsetzung ggf. zu konkretisieren. Da die Bedürfnisse des Kindes nach Kontinuität im nationalen Familienrecht bislang nur unzureichend berücksichtigt wurden, ist der nationale Gesetzgeber aufgrund dieser Norm verpflichtet, die Rechtsverhältnisse in der Pflegefamilie zu verbessern und zu stabilisieren.

 

Länger dauernde Pflegeverhältnisse (bei denen also die Voraussetzungen von § 1632 Abs. 4 BGB vorliegen) genießen nach ständiger Rechtssprechung des BVerfG den Schutz von Art. 6 Abs. 1 (und Abs. 3) GG. Da dieses Grundrecht auf den Schutz der spezifisch psychologischen und sozialen Funktion familiärer Bindungen zielt, setzt der Grundrechtsschutz nicht den Bestand rechtlicher Verwandtschaft voraus; vielmehr erfasst er die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Eltern mit Kindern. Maßgebendes Element ist dabei der Aspekt, dass die sozial-familiäre Gemeinschaft auf Dauer angelegt ist.

 

Es entspricht ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass allein die Dauer eines Pflegeverhältnisses zu einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB führen kann. Die Verfassung verlange eine Auslegung dieser Regelung, die sowohl dem Elternrecht als auch dem Grundrecht des Kindes aus Art. 2 Abs.1 i.V. mit Art 1 Abs. 1 GG Rechnung trage. Im Rahmen der Abwägung sei zu berücksichtigen, dass im Bereich von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG immer das Wohl des Kindes der Richtpunkt bleibe und letztlich bestimmend sein müsse. Lebe das Kind seit längerer Zeit in einer Pflegefamilie, so gebiete es das Kindeswohl , diese neuen gewachsenen Beziehungen zu berücksichtigen und das Kind aus dieser Familie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von diesen Bezugspersonen noch hinnehmbar sind. Die Risikogrenze hinsichtlich der Prognose möglicher Beeinträchtigungen des Kindes ist dann überschritten, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern psychische oder physische Schädigungen nach sich ziehen kann.