Pflegekinder und Leistungen aus der Pflegeversicherung (SGB XI)

| Gerichtsurteil, Pflegegeld, Rechte des Pflegekindes und der Pflegeeltern

Grundsätzlich haben auch Kinder Anspruch auf die Leistungen aus der Pflegeversicherung. Also auf Leistungen (Geld- oder Sachleistung durch Pflegedienst) zum Ausgleich einer besonderen Pflegebedürftigkeit (Reinigen, Versorgen, Beschützen). Das Besondere dabei ist, dass Kinder, besonders Säuglinge, einen "natürlichen Pflegebedarf" haben. Danach wäre eigentlich jedes (Klein-) Kind ein Pflegefall. Das ist aber nicht gewollt.

 

Um dennoch die Leistungen der Pflegeversicherung auch für Kinder erhalten zu können, wird, wie bei Erwachsenen geprüft, welcher Pflegebedarf besteht über das normale Maß hinaus. Das "normale Maß" ist bei Erwachsenen Null. Dort gibt es keine "natürliche Pflegebedürftigkeit".

 

Bei Kindern ist dies anders. Hier wird vom tatsächlichen Pflegebedarf des Kindes der "natürliche Pflegebedarf" abgezogen. Der Unterschied, also das Mehr an Pflegebedarf, dass für das kranke oder behinderte Kind gegenüber einem gesunden, nichtbehindertem erforderlich ist, bestimmt die Pflegestufe.

 

Kurz gesagt: (Tatsächlicher Pflegebedarf) minus (natürlicher Pflegebedarf) = (Pflegebedarf im Sinne der Pflegeversicherung).

 

Um diesen Unterschied feststellen zu können, wird in den Begutachtungsrichtlinien des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) der "natürliche Pflegebedarf" genauso in Minuten aufgelistet, wie der für eine Pflegestufe erforderliche Pflegebedarf.

 

In den Richtlinien des MDK zur Begutachtung für die Festsetzung der Pflegestufe steht ab S. 57:

 

Besonderheiten der Ermittlung des Hilfebedarfs bei Kindern einschließlich Zeitbemessung. Das zu begutachtende Kind ist zur Feststellung des Hilfebedarfs mit einem gesunden Kind gleichen Alters zu vergleichen. Maßgebend für die Beurteilung des Hilfebedarfs bei einem Säugling oder Kleinkind ist nicht der natürliche altersbedingte Pflegeaufwand, sondern nur der darüber hinausgehende Hilfebedarf. Bei kranken oder behinderten Kindern ist der zusätzliche Hilfebedarf zu berücksichtigen, der sich z. B. als Langzeitfolge einer angeborenen Erkrankung oder Behinderung, einer intensiv-medizinischen Behandlung oder einer Operation im Bereich der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität ergibt und u. a. in häufigen Mahlzeiten oder zusätzlicher Körperpflege bzw. Lagerungsmaßnahmen bestehen kann. Im ersten Lebensjahr liegt Pflegebedürftigkeit nur ausnahmsweise vor; die Feststellung bedarf einer besonderen Begründung. Erläuterungen: Ein solcher Ausnahmefall liegt z. B. bei Säuglingen mit schweren Fehlbildungen sowie angeborenen oder früh erworbenen schweren Erkrankungen eines oder mehrerer Organsysteme vor, wodurch bei der häuslichen Pflege in der Regel die Nahrungsaufnahme erheblich erschwert und um Stunden zeitaufwendiger wird, im Ausnahmefall auch die Körperpflege um ein Vielfaches umfangreicher und zeitaufwendiger erfolgen muss.

 

Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts sind feste Zeiten in bestimmten Altersgruppen als der "natürliche altersbedingte Hilfebedarf" anzusetzen. Es sind in den jeweiligen Altersstufen die jeweils angegebenen Minutenwerte als natürlicher altersbedingter Hilfebedarf abzuziehen:

 

Alter 0 - 6 Monate 6 Mon. - 1 Jahr 1 - 1,5 Jahre 1,5 - 2 Jahre 2 - 3 Jahre
Abzug in Minuten 236 226 219 196 159

 

Alter in Jahren 3 - 4  4 - 5 5 - 6 6 - 7 7 - 8 8 - 9 9 - 10
Abzug in Minuten 115 70 44 28 16 8 3

 

 

Ein praktisches Rechenbeispiel: Wird bei einen fünfjährigen Kind ein Pflegebedarf von 130 Minuten festgestellt, dann müssen 44 Minuten als natürlicher altersbedingter Hilfebedarf abgezogen werden. Es verbleiben also: 130 Minuten - 44 Minuten = 86 Minuten für die Pflegeversicherung maßgebender Pflegebedarf. Da aber 90 Minuten für die Pflegestufe 1 erforderlich sind, liegt hier keine Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI - (Soziale Pflegeversicherung) vor. Die Pflegekasse kann daher keine Leistungen erbringen.

 

Aber: Kinder können eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz haben und entsprechende Leistungen erhalten. Auch hier gibt es Sonderregelungen in der Begutachtung. Im Prinzip gilt hier das Gleiche, wie bei der Feststellung der Pflegestufe. Dazu heißt es in den MDK Richtlinien:

 

Besonderheiten zur Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz bei Kindern unter 12 Jahren. Auch bei Kindern kann eine erhebliche oder in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz vorliegen. Grundlage für die Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz bilden die in § 45a Abs. 2 SGB XI gesetzlich beschriebenen 13 Items im Vergleich zu einem gleichaltrigen, altersentsprechend entwickelten gesunden Kind.In Ausnahmefällen können die Kriterien der eingeschränkten Alltagskompetenz auch bei einem geistig schwer behinderten Säugling vorliegen.

 

Die Überprüfung ob eine Pflegestufe vorliegt, wird beantragt bei der zuständigen Krankenkasse. Diese wird entsprechende Formulare zusenden. Danach wird sich der MDK melden. Ein guter Link zu diesem Thema: www.pflegestufe.info/stichworte/stichw.html

 

Was ist jedoch mit der Anrechnung der Leistungen auf das Pflegegeld das vom Jugendamt bezahlt wird? Der Gesetzgeber hat nicht immer vermeiden können, dass verschiedene Leistungsträger für den gleichen Bedarf Leistungen erbringen. So gibt es Überschneidungen zwischen Hilfe zur Erziehung und Kindergeld, BAFöG oder Leistungen der Eingliederungshilfe. Es ist dann völlig in Ordnung, dass die Leistungen teilweise oder ganz in entsprechender Rangfolge angerechnet werden. Nicht in Ordnung ist, wenn eine Anrechnung des Pflegegeldes der Pflegeversicherung auf die Hilfe zur Erziehung der Jugendhilfe oder Teilhabeleistungen der Sozialhilfe vorgenommen wird. Erziehung und Betreuung behinderter Kinder sind völlig andersartige Aufgaben als deren Grundpflege. Dies bestätigt § 13 Abs. 3 Nr. 3 Satz 3 SGB XI.

 

Einem behinderten Kind Windeln zu wechseln oder es zu füttern ist eine grundpflegerische Leistung. Ihm durch geduldiges und ständig wiederkehrendes erziehendes Einwirken beizubringen, keine Windeln mehr zu brauchen und selbstständig zu essen, ist in diesem Bereich erzieherische Schwerarbeit, nicht mit der Erziehung eines normalen Kindes gleichzusetzen. Einem normalen Kind zu untersagen, bestimmte es selbst gefährdende Handlungen zu begehen, ist eine normale Erziehungsaufgabe. Einem behinderten Kind gleichen Alters die gleiche Lernaufgabe zu stellen und das Lernziel zu erreichen ist eine langwierige und kraftverzehrende Angelegenheit, eben erheblich erschwerte Erziehung.

 

Daraus erfolgt, dass die Annahme, Pflege und Erziehung eines schwerbehinderten Kindes seien inhaltsgleich, falsch ist. Das Pflegegeld der Pflegeversicherung, das in der Höhe nach dem Schweregrad der Pflegebedürftigkeit gestaffelt ist, soll dem Pflegebedürftigen die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson sicherstellen (§ 4 Abs.1 SGB XI) und dient ausschließlich zur Abdeckung von Grundpflegeleistungen und zur Erhaltung der Pflegebereitschaft. Eine Anrechnung ist daher ausgeschlossen.